1972 – „The Concert For Bangla Desh“

Bangla Desh - OriginalLP-Original 1971

Bangla Desh - 1991 ReissueCD-Erstausgabe 1991

The Concert For Bangla Desh

Veröffentlicht: 10. Januar 1972
LP: Apple STCX 3385 (England)
CD: Capitol CDP 7 93265 2
LP (Reissue): Sony/Epic EPC 468835 1

Titel:
CD 1:
George Harrison – Ravi Shankar Introduction / Bangla Dhun (Ravi Shankar) / Wah-Wah / My Sweet Lord / Awaiting On You All / That’s The Way God Planned It (Billy Preston) / It Don’t Come Easy (Ringo Starr) / Beware Of Darkness – Introduction Of The Band / While My Guitar Gently Weeps

CD 2:
Medley: Jumpin‘ Jack Flash – Youngblood (Leon Russell) / Here Comes The Sun / A Hard Rain’s Gonna Fall (Bob Dylan) / It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry (Bob Dylan) / Blowin‘ In The Wind (Bob Dylan) / Mr. Tambourine Man (Bob Dylan) / Just Like A Woman (Bob Dylan) / Something / Bangla Desh

Der Tod seiner Mutter traf George Harrison im Sommer 1970 schwer – er verarbeitete diese Erfahrung sofort im Song „Deep Blue“ (siehe Rezension „Living In The Material Word – Remastered“). In diese Tage fiel aber auch eine erfreuliche Nachricht. Mit Genugtuung konnte George zur Kenntnis nehmen, dass sein Song „Something“ den Ivor Award für den „Besten Song des Jahres“ gewann. Dies war nur ein kleiner Vorgeschmack für den Ruhm, den „All Things Must Pass“ nach seiner Veröffentlichung Ende November 1970 einbringen sollte. Wenige Tage später war das Album das zentrale Thema in der Fernsehsendung der BBC „Top Of The Pops“. Im Amerika wurde die Single „My Sweet Lord“ / „Isn’t It A Pity“ schon eine knappe Woche vorher als Appetizer für das kommende Album veröffentlicht. Weihnachten erreichte die Single schließlich Platz 1. Am 2. Januar 1971 gelang es auch dem Album, die Spitzenposition der US-Charts zu erklimmen. George Harrison war in aller Munde, doch auch das Thema Beatles war für die Öffentlichkeit keineswegs abgehakt. Die Differenzen mit Paul McCartney und dessen geschäftlichen Vertretern waren bekannt, so dass sogar der renommierte „Melody Maker“ meldete, die Beatles seien auf der Suche nach einem Ersatz-Bassisten für Paul und Klaus Voormann würde die Liste der potenziellen Kandidaten anführen.

In England hörten die Radiostationen nicht auf „My Sweet Lord“ zu spielen. Die ungeheure Nachfrage führte letztlich auch dazu, dass der Song auch in England ausgekoppelt wurde. „My Sweet Lord“ war allgegenwärtig und auch George Harrison selbst bezog Anfang 1971 zur Aussage des Songs Stellung: „Der einzige Sinn des Lebens besteht darin, mit sich ins Reine zu kommen. In jeder einzelne Seele ist Gott. Das Ziel ist es, das Göttliche zu zeigen und diese Befreiung ist das, woran ich glaube. Das ist es, was ich unbedingt will: mich selbst von allem Chaos und Körperlichkeit befreien und mir Gott bewusst sein. Das ist mein persönlicher Ehrgeiz und alles andere ist zweitrangig.“

Auf der Welle des Erfolgs war auch in der Londoner Tageszeitung „The Times“ eine Rezension von „All Things Must Pass““ zu lesen. Zu dieser Zeit hatten auch George Harrisons ehemalige Bandkollegen ihre ersten Soloalben veröffentlicht und so kam der Autor des Artikels, Richard Williams, zu dem Schluss, dass sich „All Things Must Pass“ als bestes aller bisher erschienenen Soloalben der Ex-Beatles auszeichne, da es vermutlich das Album sei, welches am ehesten in der Tradition stünde, in die Beatles ihre Karriere starteten. Williams beendete seine Einschätzung mit einer These, die wohl viele schon dachten, die nun aber ganz offensichtlich war: „Harrison stand ständig im Schatten der Egos von McCartney und Lennon. Aber von Zeit zu Zeit gab es Hinweise auf etlichen ihren Alben, dass er mehr war, als das, was ihm zugestanden wurde.“

Single und Album gelangten am 30. Januar 1971 gleichzeitig auf den ersten Platz der britischen Hitlisten. Auch in Deutschland erreichte „My Sweet Lord“ im gleichen Monat Platz 1. In England sickerten Zahlen durch, dass die Single die Marke von 200.000 hinter sich gelassen hatte und täglich um die 30.000 Stück absetzte. In den USA wurden bis dahin satte zwei Millionen Exemplare verkauft. Das 3-fach-Album stand diesem Erfolg in nichts nach. Es belegte sieben Wochen hintereinander die Spitzenposition.

Beinahe im Handumdrehen war George Harrison nun als Musiker, Komponist, Texter und Produzent anerkannt. Er hatte mit „All Things Must Pass“ eine Fusion von kompositorischer Meisterschaft, instrumentaler Eleganz, Atmosphäre und thematischer Geschlossenheit erreicht, die im Bereich der Rockmusik bis heute nur ganz selten übertroffen wurde. Dabei war der Schöpfer dieses Epos im Vorfeld in höchstem Maße unsicher, wie das Album von der breiten Masse aufgenommen werden würde. Gleichsam war er überzeugt eine gute Platte gemacht zu haben, da ihm vergleichsweise Unmengen an Liedern zur Verfügung standen und dazu überschäumende Energie um die schlummernden Songjuwelen umzusetzen. Endlich alleinverantwortlich die eigene Musik aufzunehmen – das war für ihn die befreiende Erfüllung eines Traums.

Ende Februar war „My Sweet Lord“ auch in England die Nummer Eins. Harrisons Management und die Medienlandschaft wurden derart vom Erfolg des Song überrollt, dass gar kein unterstützender Promotion-Film gedreht wurde. Als „Top Of The Pops“ den Spitzenreiter der Charts in ihrer Sendung präsentierte, ließ man schlichtweg das Studiopublikum zum Playback des Songs tanzen.

Der Gerichtsprozess, den die Ex-Beatles gegeneinander führten, hatte nun schon zehn Verhandlungstage hinter sich. Im März verkündete das Gericht, dass der Business Manager der Beatles, Allen Klein, mit sofortiger Wirkung nicht mehr im Namen der Beatles handeln dürfe, sondern lediglich stellvertretend für John Lennon, Ringo Starr und George Harrison. Paul McCartney hatte drei Monate zuvor ein Verfahren gegen Klein eröffnet, welches Jahre später auch erfolgreich war. Nach Bekanntgabe der neuen Sachlage kam es zu unschönen Szenen. Wutentbrannt fuhr John mit Ringo und George zu Pauls Wohnung in der Londoner Cavendish Avenue, kletterte (möglicherweise mithilfe der anderen Beiden) auf die umgrenzende Mauer und warf zwei Steine durch ein Fenster des Hauses.

Einige Tage darauf kochte wieder das Gerücht, Klaus Voormann würde der Bassist bei den neu formierten Beatles (die aber nun „The Ladders“ heißen sollten). Der „Daily Mirror“ meldete, dass es am 19. März im Apple-Büro ein Geschäftstreffen von John, George, Ringo und Klaus gegeben habe, bei dem die gemeinsame Zukunft diskutiert worden sei. Apple Pressesprecher Les Perrin dementierte postwendend. Voormann entfloh dem medialen Zugriff und zog  von Hampstead ins ruhige Henley an der Themse, wo er auf George Harrisons Anwesen Friar Park für längere Zeit ein neues Zuhause fand.

Es gab aber tatsächlich neue gemeinsame Aufnahmen von Lennon, Harrison und Voormann. Nach einer ungezwungenen Jam Session in New York im Juni wurde George von John eingeladen, ab der kommenden Woche an den Aufnahmen zu Lennons später „Imagine“ genannten LP teilzunehmen. George sagte zu und bat seinerseits Klaus Voormann telefonisch darum, auch an dem Projekt mitzuwirken. Die Drei spielten gemeinsam den Anti-McCartney-Song „How Do You Sleep?“ ein, der in seiner Ursprungsfassung mehrfach unter die Gürtellinie zielt. Auf Allen Kleins Anraten bezüglich möglicher rechtlicher Schwierigkeiten entschärfte Lennon den Text. Dennoch bleibt der Text mehr als bissig: McCartney wird als Fahrstuhlmusik produzierendes Muttersöhnchen tituliert, dessen einziger Verdienst die Komposition „Yesterday“ sei. Es macht den Anschein, als habe George Harrison an der Aufnahme seine stille Freude gehabt, der er steuert eines seiner großartigsten Slidegitarren-Soli bei. Auch beim Film „Gimme Some Truth“, der die „Imagine“-Aufnahmen dokumentiert ist dieser Eindruck nicht von der Hand zu weisen. Beim gemeinsamen Frühstück machen sich Lennon und Harrison über die (noch) relativ bescheidenen Erfolge ihres ehemaligen engen Freundes Paul McCartney lustig: Beatle Ed (Paul) würde sich ja ganz gut in der schwedischen Hitparade machen …

Im vergangenen Dreivierteljahr traf George nach längerer Pause zwei Mal wieder mit seinem väterlichen Freund und Mentor Ravi Shankar zusammen. Die Verbindung zwischen den beiden Musikern war mittlerweile sehr stark. In einem 1973 geführten Interview erklärte Shankar „Für mich ist er wie ein Sohn, wie ein jüngerer Bruder, wie ein Schüler – alles in einem.“ Im September 1970 unterstützte George Ravi Shankars Konzertreihe „Festival Of Arts Of India“. Beim Konzert in der Londoner Festival Hall kam es zu einem der seltenen öffentlichen Auftritte von Ravi Shankar und George Harrison, bei dem Letzterer allerdings nicht als ausführender Musiker in Erscheinung trat.

Im Juni 1971 nun besuchte George Ravi Shankar in Los Angeles, als dieser mit den Aufnahmen zu seinem neuen Album beschäftigt war. Bedrückende Nachrichten in Presse Fernsehen über das Elend der Flüchtlinge in Bangla Desh sind auch George Harrison nicht entgangen. Allerdings war es erst das persönliche Schicksal Ravi Shankars, der Teile seiner Familie in den Flüchtlingswirren verlor, das auslösende Moment, welches George bewegte, der Bitte seines Freundes um Hilfe nachzukommen. Erst danach informierte er sich über die Hintergründe: Ost-Pakistan wolle die Unabhängigkeit von westlichen Teil des Landes (von dem ein hohes Maß an Unterdrückung ausging) und sich künftig Bangladesch nennen. Letzter Auslöser für die Unruhen war ein Sprachproblem. Bengali ist seit jeher die Muttersprache des heutigen Bangladesch. 1971 beschloss nun die Regierung in Islamabad Urdu als Landessprache für beide Teile Pakistans festzulegen.

Ravi Shankar, selbst Bengali, bat um Rat, wie man den Blick der Öffentlichkeit auf den dort wütenden Bürgerkrieg und gleichzeitig Geldmittel sammeln könnte um wenigstens zu einem Teil die Not zu lindern. Tausende von Flüchtlingen fielen täglich den Unruhen zum Opfer. George Harrison kam gemeinsam mit Ravi Shankar auf den Gedanken, ein Wohltätigkeitskonzert für Bangladesch zu organisieren. Flankierend zum Konzert nahm George in den ersten Julitagen die Single „Bangla Desh“ auf, die eindringlich um Hilfe für das leidende Volk von Bangladesch bittet:

„My friend came to me
With sadness in his eyes
Told me that he wanted help
Before his country dies […]“

(Mein Freund kam zu mir / Traurigkeit in seinen Augen / Bat mich um Hilfe / Bevor sein Land stirbt)

und im späteren Verlauf

„Bangla Desh, Bangla Desh
Such a great disaster
I don’t understand
But it sure looks like a mess
I never known such distress
Please don’t turn away
I wanna hear you say
Relieve the people of Bangla Desh (…)“

(Bangladesch, Bangladesch / Was für ein gewaltige Katastrophe / Die ich kaum fassen kann / Aber dort sieht’s furchtbar aus / Solch ein Elend habe ich noch nie gesehen / Bitte wendet euch nicht ab / Ich möchte euch rufen hören / Unterstützt das Volk von Bangladesch.)

Eile war geboten, nachdem Harrison erfuhr, dass die Amerikaner Waffen an die Pakistanis schickten, die letztlich nur daran interessiert waren, die verhassten Bengalis abzuschlachten. Mittlerweile hatte sich George mit Patti für mehrere Monate in Los Angeles eingemietet. Die meiste Zeit hielt sich George jedoch in New York auf, denn nun brachen arbeitsreiche Wochen an. Nachdem George Harrison letzte Hand an die „Bangla Desh“-Single und den Soundtrack des Apple-Films „Raga“ gelegt hatte, ging es nun um die Organisation des Konzerts.

Harrison legte als Veranstaltungsort relativ schnell den New Yorker Madison Square Garden fest. In seinen Erinnerungen schwärmt Ravi Shankar von Georges spontanen und uneigennützigen Einsatzwillen und der Leichtigkeit, wie dieser seine musikalischen Mitstreiter zusammenbrachte: „Er sagte: Kein Problem. Wir machen etwas ganz Großes daraus (…) Umgehend – wie Zauberei – hängte er sich ans Telefon, buchte den Madison Square Garden, telefonierte mit seinen Freunden, Eric Clapton, Bob Dylan … es war wirklich wie Zauberei. George rief Ringo in Spanien an, der dort gerade den Film „Blindman“ drehte, sprach mit Leon Russell und nahm mit Allen Klein Kontakt auf, der sich um die geschäftliche Seite kümmern sollte.“ Ganz so einfach schien es aber nicht zu sein, zieht man Äußerungen George Harrisons von 1987 heran, als er sagte, dass er während der zweimonatigen Vorbereitungsphase Tag und Nacht am Telefon hing um für dieses Ereignis Musiker zu verpflichten. Aber Harrison schaffte es in rekordverdächtiger Zeit. War es Anfangs noch schwierig Musiker zu rekrutieren, so hatte George, je näher der Tag des Konzerts rückte, später die Bereitschaft so Vieler, dass sogar Absagen erteilt werden mussten. Etliche Musiker flogen Tausende von Kilometern und sahen keinen einzigen Cent dafür. Mitunter sagten Einige sogar andere Auftritte ab, nur um beim Konzert für Bangladesch dabei sein zu können. Jeder Teilnehmer waren mit ganzem Herzen bei der Sache.

Die schnell auf den Markt gebrachte Single „Bangla Desh“ erreichte im September Platz 10 in England. Die B-Seite enthielt im Andenken an Georges Mutter den Song „Deep Blue“. Wichtiger war jedoch, die Aufmerksamkeit auf Bangladesch zu lenken.

Am 12. Juli 1971 traf sich Harrison im Londoner Savile Row mit Mitgliedern der Apple-Band Badfinger und informierte sie über Einzelheiten des Konzerts, bei dem sie George und übrigen Musiker begleiten sollten. Wieder in New York angekommen, verabredet sich George mit John Lennon. Als Gegenangebot für seine Mitwirkung am „Imagine“-Album lud George John ein, beim Konzert teilzunehmen. John bat sich Zeit zum Überlegen aus, nahm aber schließlich nicht am Konzert teil. Darauf angesprochen, kommentierte er später lakonisch: „Bangladesch war Kacke.“ Viel ist über Lennons Absage spekuliert worden. Der gemeinsame Nenner, die größte Wahrscheinlichkeit scheint zu sein, dass George irgendwann unmissverständlich klar machte, dass er Yoko nicht dabei haben möchte. Er war der Ansicht, Yoko passe nicht zum restlichen Aufgebot und hätte eine Zugkraft gleich Null. John trotzte und erklärte, dass er auch nicht käme, wenn Yoko nicht auftreten dürfe. Auch zwischen dem als unzertrennlich geltenden Paar soll es im Zuge dieser Entscheidung zum Streit gekommen sein: Yoko reiste zurück nach England, während John nach Paris flog.

Georges Hingabe zur Sache ging soweit, dass er, alle Animositäten vergessend, sogar Paul McCartney bat, das Konzert zu verstärken. McCartney, 1971 noch tief getroffen vom Beatles-Bruch und allem damit verbundenen Ärger, erinnerte sich drei Jahre später mit diesen Worten: „George kam auf mich zu und fragte, ob ich beim Konzert spielen wolle. Ich dachte nur: Verflucht, was soll das? Wir haben uns gerade getrennt und nun vertragen wir uns wieder? Das war alles ein bisschen verrückt.“ McCartneys Absage erscheint heute halbwegs plausibel und nachvollziehbar. Schließlich verbündeten sich die anderen drei Beatles vor allem juristisch gegen ihn  – und nun war er plötzlich erwünscht. Im Gegensatz dazu war Lennons Verhalten kindisch. Gerade er, der politisch aktive Beatle, war zu stolz um dem Not leidenden Volk von Bangladesch zu helfen.

Ungeachtet dieser zwei kapitalen Absagen blieb die Besetzung hochkarätig genug: Ravi Shankar, Ringo Starr, Eric Clapton, Bob Dylan (dessen Auftritt vor lauter Nervosität bis zuletzt auf der Kippe stand), Billy Preston, Leon Russell (bekannt durch Joe Cockers „Mad Dogs And Englishmen“-Tour), die „Apple“-Band Badfinger, Klaus Voormann und Sessionmusiker erster Güte. George Harrison beschrieb die Vorbereitungen zum Konzert als „pures Adrenalin“. Ehrgeizig, mit viel Spontaneität und Selbstvertrauen ging er das Projekt an. Eine Sache, die er von John Lennon gelernt hatte: “ […] wenn er hinter einer Sache stand, dann machte er es einfach. Und als ein Freund von John habe ich selbst viel von dieser Eigenschaft mitbekommen. Gemäß der Einstellung ‚Wir probieren es einfach – wir packen’s an!‘ „

Innerhalb von sechs Stunden waren die 40.000 Karten für die Nachmittags- und Abendvorstellung am 1. August 1971 ausverkauft. Auf dem Schwarzmarkt wurden für die 7.50 $-Tickets bis zu 600 $ geboten. George nutzte sämtliche mediale Möglichkeiten um den Erlös zu erhöhen. So verpflichtete er Phil Spector, das Konzert für eine spätere Veröffentlichung aufzuzeichnen und auch ein Kamerateam wurde angeheuert um diese denkwürdige Veranstaltung zu konservieren. In seiner einleitenden Ansprache fand George die richtigen Worte um den ernsten Anlass des Konzerts zu unterstreichen. Ummittelbar darauf eröffnete Ravi Shankar das Konzert mit einem „Bangla Dhun“ betitelten Stück. Shankar war sich bewusst, dass nicht er die Massen anzog, sondern die großen Namen der Rockmusik. Doch das Publikum blieb höflich und spendete (aus Unwissenheit) bereits nach dem Stimmen der Instrumente Applaus. Ravi Shankar nahm dies gelassen: „Wenn euch das Stimmen schon so gefällt, werdet ihr von der Performance begeistert sein.“ Heute allerdings wird der durchschnittliche Musik-Konsument wahrscheinlich die Skip-Funktion des CD-Players nutzen und den indischen Teil des Konzerts überspringen.

Aber auch 1971 war der Jubel um ein Vielfaches größer, als die westlichen Musiker die Bühne betraten und das Set mit einer packenden Version von Harrisons „Wah Wah“ eröffneten. Die Zeit für Proben war im Vorfeld der beiden Konzerte äußerst begrenzt. Dennoch waren die Livefassungen der bekannten Songs bemerkenswert authentisch und energiegeladen. Zwei Schlagzeuger, zwei Keyboarder und eine wahre Armada von Gitarristen waren ganz nach dem Geschmack von Phil Spector, der Mann, der den Begriff „Wall Of Sound“ prägte. Es gab im Konzert jedoch auch kontemplative Momente, so z.B. bei „My Sweet Lord“, das lediglich von George Harrisons akustischer Gitarre, Eric Claptons Solo und den Stimmen der vielen Backgroundsänger getragen wird. Man braucht kein Harrison-Experte zu sein um entweder beim Hören der Aufnahmen oder Betrachten des Konzertfilms zu erkennen, wie ernst er die Zeilen meint, die er in „My Sweet Lord“ sang. Zwischendurch standen zwei Musiker im Rampenlicht, deren Instrumente üblicherweise nur in zweiter Reihe standen: der Organist Billy Preston, der mit einer mitreißenden Version seines Songs „That’s The Way God Planned It“ inklusive spontaner Tanzeinlage überzeugen konnte, bevor dann unter ohrenbetäubenden Ovationen Ringo Starr für seinen aktuellen Hit „It Don’t Come Easy“ (Nr. 1 in den USA und in Deutschland immerhin Platz 5) das Mikrofon übernahm. Allein zwei Beatles gemeinsam auf der Bühne zu sehen, setzte schon ein Jahr nach der Trennung der Gruppe ungeheure Emotionen frei – auch wenn Ringo Starrs Intonationssicherheit deutliche Schwächen zeigte.

Leon Russell sang eine starke Version des Stones-Klassikers „Jumping Jack Flash“, der im Medley mit „Youngblood“ (welches übrigens zu George Harrisons Repertoire in frühen Beatles-Tagen zählte) verbunden war. Im Duett mit George Harrison bei „Beware Of Darkness“ wirkte Russell mit seinem breiten amerikanischen Akzent jedoch leicht fehl am Platz. Sehr reizvoll präsentierte sich „Here Comes The Sun“ in einer rein akustischen Fassung, bei der George vom Badfinger-Gitarristen Pete Ham begleitet wurde. Währenddessen leerte sich die Bühne um für den folgenden Gast Platz zu machen.

Das „Concert For Bangla Desh“ bot Überraschungen in mehrfacher Hinsicht: zunächst war dies der bereits erwähnte gemeinsame Auftritt von George Harrison und Ringo Starr. Darüber hinaus wurde Eric Clapton frenetisch bejubelt. Die Mehrheit wusste von dessen Heroin-Abhängigkeit, aber niemand wusste, ob es jemals wieder eine Gelegenheit geben würde, Clapton auf einer Bühne sehen zu können. Bis zu den Proben war völlig unklar, ob Clapton es schaffen würde. Die größte Begeisterung entfachte allerdings Bob Dylan. Nach seiner Ankündigung brauchte das Publikum Minuten, um wieder zur Ruhe zu kommen. Warum diese Hysterie? Der amerikanische „Sprecher seiner Generation“ hatte es satt, als solcher bezeichnet zu werden und lebte seit Jahren zurückgezogen vom Musikgeschäft. Nur ein Auftritt auf der Isle Of Wight (1969) lag in dieser selbstgewählten Auszeit. Selbst George Harrison war bis zum Schluss unsicher, ob Dylan tatsächlich die Bühne betreten würde: George hatte eine handschriftliche Namensliste auf seine Gitarre geklebt – hinter dem Namen „Bob“ stand ein Fragezeichen. Noch am Abend vor dem Konzert reagierte Dylan beim Anblick des Medienaufmarsches beinahe hysterisch und erklärte, dass das nicht seine Sache sei.

Aber es kam eben doch so, wie George Harrison gehofft hatte. Bob Dylan, dezent begleitet von George auf seiner cremeweißen Fender Stratocaster, Ringo am Schellenring und dem allgegenwärtigen Leon Russell am Bass, legte einen großartigen Auftritt hin. Er griff dabei auf seine früheren Erfolge wie „Blowing In The Wind“, „Mr. Tambourine Man“ oder „Just Like A Woman“ zurück. Verzichtet wurde auf „If Not For You“, das während der Proben noch gespielt wurde. Der Song hätte beim Konzert selbst – möglicherweise mit zwischen Harrison und Dylan aufgeteilten Strophen – äußerst interessant werden können. In der Nachmittagsvorstellung stand auch „Love Minus Zero / No Limit“ mit auf dem Programm. Dieser Titel fand nicht den Weg auf das später veröffentlichte 3-LP-Boxset. Ebenso davon betroffen war Harrisons Live-Version von „Hear Me Lord“. Dies war dann auch verständlicherweise ein Kritikpunkt im Zuge des Erscheinens der LP-Box. Während man auf den lang anhaltenden Begrüßungsapplaus für Bob Dylan scheinbar nicht verzichten konnte und auch sonst etwas geschickter hätte editieren können, blieben die beiden o.g. Songs auf der Strecke.

Wie auch immer: Die komplette Band kehrte für die letzten beiden Stücke „Something“ und „Bangla Desh“ zurück. Möglicherweise ist es auf Harrisons bescheidene Art zurückzuführen, dass er die Bühne verließ, bevor der letzte Takt von „Bangla Desh“ erklang. Es lag ihm insbesondere bei diesem Benefizkonzert wenig daran, bejubelt zu werden und im übertriebenen Maße im Mittelpunkt zu stehen. Noch später betonte George in Interviews, dass alles Ravi Shankars Idee gewesen sein und dass er das Ganze lediglich mit ein wenig Hilfe seiner Freunde organisiert habe.

Am selben Abend fand noch ein Feier für alle Mitwirkenden im New Yorker Club „Ungano’s“ statt. Auch andere Prominente gesellten sich dazu, so auch The Who, die sich gerade für zwei Auftritte in der Stadt befanden. Amüsanter Höhepunkt war eine Version von „Da Do Ron Ron“ – dargeboten von George Harrison und Billy Preston. Später kam Phil Spector dazu und sang eine sehr eigenwillige Interpretation des Songs. Am Schlagzeug saß Keith Moon, und nach bewährter Who-Manier beförderte er das Schlagzeug (welches der Band Badfinger gehörte) mit Fußtritten ins Publikum.

George Harrison war voller Enthusiasmus und schrieb am Tag nach den beiden Konzerten „The Day The World Gets Round“, welches damit den Anfang der Arbeit an seinem kommenden Studioalbum „Living In The Material World“ darstellte (siehe Rezension). Auch die Presse sparte nicht mit Lob. So pries beispielsweise der New Musical Express das Konzert als „das größte Rockspektakel des Jahrzehnts“. Zugleich begannen George und Phil Spector mit der Produktion des Konzertmitschnitts. Die beiden waren eine Woche lang Tag und Nacht damit beschäftigt und hatten sich ähnlich der Turbo-Produktion von Lennons „Instant Karma!“ vorgestellt, das Album bereits Mitte August veröffentlichen zu können. Doch oft kommt es anders als man denkt. Capitol Records stellten sich als Quertreiber par excellence heraus. Die Plattenfirma verlangte für anfallende Herstellungs- und Marketingkosten ein nicht unerhebliches Entgeld. Der verärgerte George argumentierte zu Recht, dass Spector das Album kostenlos abmischte, Apple das aufwändige Booklet zur Verfügung stellte und dass die verschiedenen Plattengesellschaften ihren Künstlern gestatteten, auf dem Album zu erscheinen. Harrison, vertreten von Allen Klein, sogar so weit, dass er androhte, mit dem Projekt zur Konkurrenz von CBS (heute Sony Music) zu gehen. Capitol Records fügten sich im letzten Moment und waren zu einer Vorschusszahlung von 3,75 Mill. US-Dollar bereit. Der Sorgen war Harrison damit aber nicht entledigt. Nun stritt man sich darüber, zu welchem Verkaufspreis das Box-Set auf den Markt kommen sollte, wobei Allen Klein auf einem möglichst niedrigen Preis bei maximaler Ausschöpfung des Benefiz-Beitrags und gleichzeitiger Gewährleistung der Integrität der Künstler bestand. Seiner Verärgerung machte George Harrison in einem Interview in der amerikanischen Dick Cavett-Show Luft: „Da hat man nun eine Menge Geld zur Verfügung, dann kommt das nächste Problem: Wohin damit? Das Album hätte schon vor einem Monat draußen sein sollen.“ Der Erlös der Ticketverkäufe – eine gute Viertelmillion Dollar – wurde übrigens bereits am 12. August 1971 an die UNICEF überwiesen.

Am 6. September, einen Tag nachdem John Lennon sich in einem Interview im New Yorker St. Regis Hotel abfällig über George äußerte („Er ist sehr engstirnig und hat nicht wirklich einen weiten Horizont. Paul ist da viel offener […]“), traf er in New York in eben jenem Hotel mit John und Yoko zusammen. Die beiden waren mit Dreharbeiten zu ihrem Film „Imagine“ beschäftigt. George, der von den Äußerungen vom Vortag offensichtlich nichts wusste, sollte in einer Filmszene Arm in Arm mit Yoko das Hotelzimmer der Lennons betreten und zum Fenster gehen (auch andere Prominente wie Fred Astaire und Jack Palance hatten die gleiche Aufgabe). Schon ein starkes Stück, sagte Yoko Ono in dem Interview sogar über George, er sei intellektuell nicht kultiviert.

Im Oktober traf sich Harrison mit dem britischen Finanzminister Patrick Jenkins in einem erfolglosen Versuch, die Einnahmen aus dem Verkauf des „Concert For Bangla Desh“-Albums (damaliger Arbeitstitel „George Harrison And Friends“) nicht zu versteuern. Jenkins erklärte: „Tut mir Leid! Ihr Idealismus in allen Ehren, aber Großbritannien braucht auch das Geld.“

In den USA tauchten unterdessen schon illegale Mitschnitte des Konzertes auf. George trat die Flucht nach vorn an und kündigte die Veröffentlichung des Albums für November an. Umgehend wurden die Plattengeschäfte mit Postern beliefert, die an das Gewissen der Musikfans appellierten: „Rette ein hungerndes Kind, kaufe keinen Bootleg!“

Ende November feierte der Film „Raga“ in New York Premiere, zu der sowohl George Harrison als auch John Lennon mit ihren Frauen erschienen. Eine im Sommer 1968 gedrehte Szene zeigt dabei eine Sitar-Lehrstunde, die George Harrison von Ravi Shankar erhielt. Eine wohltuende Ablenkung von den ärgerlichen Auseinandersetzungen um das „Bangla Desh“-Album. Auch der November-Termin konnte nicht verwirklicht werden, so dass die LP-Box erst am 20. Dezember 1971 in den USA veröffentlicht wurde. Zur gleichen Zeit unterstrichen verschiedene Auszeichnungen Georges derzeitigen Stellenwert in der Rockmusik („My Sweet Lord“ als bestverkaufte Single des Jahres und George als „Top Male Vocalist 1971“, dazu drei weitere Verleihungen im folgenden Jahr: zwei für „My Sweet Lord“ und einen „Child Is The Father Of The Man“-Award der UNICEF für sein Bangladesch-Engagement.

Mit 1972 brach ein vergleichsweise ruhiges Harrison-Jahr an, welches allerdings mit einer faustdicken Überraschung für George begann: Bei seiner Rückkehr nach Henley im Januar stellte er fest, dass sich auf dem Gelände von Friar Park ein Filmteam für Dreharbeiten zu einem zweitklassigen Softporno-Streifen niedergelassen hatte. Harrison schien es mit Humor zu nehmen und so kam der „Au Pair Girls“ genannte Film (mit dem britischen Komödianten Richard O’Sullivan) im Sommer des Jahres in die Kinos. Ende Februar, kurz nach seinem 29. Geburtstag, war George Harrison mit seiner Frau Patti in einen Autounfall verwickelt. Sie fuhren gerade gegen Mitternacht mit ihrem 600er Mercedes in der Umgebung von Maidenhead, als die Straßenbeleuchtung ausfiel. Bei einem neu eröffneten Kreiselverkehr kollidierten sie mit einer Laterne. George und Patti trugen beide Kopfverletzungen davon, die genäht werden mussten. Während George das Krankenhaus nach der Behandlung verlassen konnte, wurde Patti zur Beobachtung in ein Schwesternheim überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt, im verflixten siebten Ehejahr, steckte die Beziehung zwischen dem einstigen Traumpaar in ernsten Schwierigkeiten. Aber davon später mehr.

Im März hatte „The Concert For Bangla Desh“ die Position 2 der amerikanischen und wenig später die Nr. 1 der englischen LP-Charts erreicht. 1991, zum zwanzigsten Jahrestag des „Concert For Bangla Desh“ erschien das Album erstmals auf CD. In einem Promotion-Interview zur Wiederveröffentlichung bezifferte George Harrison den Gesamterlös auf 13,5 Millionen US-Dollar – summiert aus Ticketverkauf, dem Einspielergebnis des Konzertfilms im Kino und den abgesetzten Alben. Auf diese Zahl ging George noch genauer ein: „Ich weiß, dass das heutzutage nicht viel ist – 13,5 Millionen Dollar sind sehr wenig im Vergleich zu Dingen wie Live Aid. Aber man sollte sich daran erinnern, dass das eine Zeit war, in der niemand eine Ahnung von Benefizkonzerten hatte. Etwas in dieser Art gab es bis dahin noch nicht und damals waren 13,5 Millionen sicher mehr wert als heute.“ Das größte Problem bestand damals darin, dass die Finanzbehörden das Geld über Jahre hinweg blockierten, weil ständig darüber Uneinigkeit herrschte, welcher Betrag der hungernden Bevölkerung von Bangladesch zugeführt werden und wie hoch der Steuersatz sein sollte. Außerdem warf George später Allen Klein vor, er habe nachhaltige Fehler in der Organisation gemacht. So habe er sich viel zu spät, nämlich erst nach den Konzerten, mit der UNICEF in Verbindung gesetzt. Irgendwann war auch die Geduld von George Harrison erschöpft und so bezahlte er den Steueranteil im Juli 1973 aus eigener Tasche. Angesprochen darauf, wie sehr ihn die Querelen um die Gelder belasteten, konstatierte er sicherlich mit einem Augenzwinkern, aber ernst genug: „Yeah, das reicht aus um durchzudrehen und sich umzubringen.“

Wie bereits erwähnt, hat man sich mit der Verpackung des Konzertmitschnitts viel Mühe gegeben. Die Box enthält neben den drei Schallplatten ein LP-formatiges Booklet mit 64 Seiten aus schwerem Papier. Dass die Künstler sich in den Dienst der Sache stellten, das zeigt auch das Frontcover. Nicht etwa eine Aufnahme vom Konzert ist zu sehen, sondern das Foto eines ausgemergelten Flüchtlingskindes. EMI/Capitol war alles andere als einverstanden damit, da es aus ihrer Sicht eher abschreckend wirken würde. George Harrison setzte sich allerdings durch.

Die beste Hitparadenplatzierung war die Spitzenposition in England und Norwegen, sowie Platz 2 in den USA und Japan. In Deutschland war das Album nur als Import zu bekommen. Bis zur Etablierung von eBay war es hierzulande lange Jahre nur durch einen Glücksgriff auf Flohmärkten oder für teures Geld per Mailorder-Versand erhältlich. Zwanzig Jahre nach Erstveröffentlichung kam die CD-Version mit einem farblich umgestalteten Cover auf den Markt. Die Aufnahme selbst blieb so gut wie unverändert (kleine Editierungen zwischen den Songs) und auch das Booklet war eine 1:1-Umsetzung des Originals – freilich im CD-Format. Die ebenfalls neu aufgelegte Schallplatte dazu ist heute ein relativ hoch gehandeltes Sammlerstück, doch 1991 enttäuschte sie alle Liebhaber der schwarzen Scheiben. Schon in den 70ern gestattete man Bob Dylans Label CBS/Columbia, dass es die Kassettenversion des „Concert for Bangla Desh“ vertreiben durfte, weil Dylan sonst nicht auf dem Album vertreten gewesen wäre. 1991 durfte Epic (Unterlabel vom CBS-Nachfolger Sony) die Schallplatte des „Concert for Bangla Desh“ veröffentlichen, wobei die Gestaltung mit einer für drei LPs recht dünnen Hülle und als Beilage das Booklet der CD sehr lieblos ausfiel.

Eine angemessene digitale Würdigung erfuhr das Album in der remasterten Ausgabe von 2005 (siehe entsprechende Rezension).

Anspieltipps:

Wah-Wah / That’s The Way God Planned It / It Don’t Come Easy / While My Guitar Gently Weeps / Here Comes The Sun / A Hard Rain’s Gonna Fall / Bangla Desh

Bewertung:

GeorgeGeorgeGeorgeGeorge +

Pressestimmen:

„… this concert really proved what can be attained when top musicians get together for a cause. Musically it was simply brillant!“  – New Musical Express, 7. August 1971

„So viel Soul war bis dahin selten im Mainstream-Pop zu hören“  – stereoplay, 12/2005

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