Rock’n’Roll
Veröffentlicht: 21. Februar 1975
LP: Apple 1C 062 – 05 834 (Deutschland)
CD: EMI 07243 8 74330 2 1 (Digitally remixed and remastered)
Titel:
Be Bop A Lula / Stand By Me / Rip It Up/Ready Teddy (Medley) / You Can’t Catch Me / Ain’t That A Shame / Do You Wanna Dance? / Sweet Little Sixteen / Slippin’ And Slidin’ / Peggy Sue / Bring It On Home/Send Me Some Loving (Medley) / Bony Moronie / Ya Ya / Just Because
Bonus Tracks auf der remasterten CD: Angel Baby / To Know Her Is To Love Her / Since My Baby Left Me / Just Because
Nach mehreren problematischen Anläufen (vgl. Rezension von „Walls And Bridges“) nahmen John Lennon und Phil Spector doch noch mal ernsthaft die Aufnahme des Albums mit den von Lennon favorisierten Rock’n’Roll-Oldies in Angriff. Das „Rock’n’Roll“-Projekt geht übrigens ursprünglich zurück auf einen langjährigen Prozess, in dem der Musikverleger Morris Levy Lennon beschuldigte, den Beatles-Klassiker „Come Together“ („Abbey Road“, 1969) von Chuck Berrys „You Can’t Catch Me“ abgekupfert zu haben. Levy gewann den Rechtsstreit und Lennon erklärte sich bereit, für „Rock’n’Roll“ drei Songs aufzunehmen, die von Levy verlegt werden.
Wie dem auch sei, Lennon ließ sein „Oldies But Goldies“-Projekt wieder aufleben, obwohl er es nach dem Abbruch der Spector-Sessions 1973 eigentlich schon aufgegeben hatte. Im Oktober 1974 nahm John Lennon eine ganze Reihe weitere Rock’n’Roll-Titel auf. Die Band war identisch mit dem Musikern, die auch schon auf „Walls And Bridges“ mitgewirkt hatten. Das Album wurde schließlich fertig und bereitete dennoch Ärger. Morris Levy begann, über seinen Versandhandel eine nicht authorisierte Version des Albums unter dem Namen „Roots“ auf den Markt zu bringen (die wenigen Exemplare dieses Albums erzielen heute hohe Sammlerpreise). Lennon brachte als Reaktion darauf blitzartig sein „Rock’n’Roll“-Album heraus und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen „Roots“.
Zur Musik: Das Album ist tatsächlich eine Reise zurück zu den musikalischen Wurzeln John Lennons. Analog zu seinem Versuch, während des „Lost Weekends“ (vgl. „Wall And Bridges“) einen Teil unbeschwerter Jugend zurückzuholen, beschwörte Lennon auch musikalisch seine Anfänge herauf. Den Gene Vincent-Klassiker „Be-Bop-A-Lula“ war einer der Titel, die John Lennon sang, als Paul McCartney ihn erstmals sah, und zwar bei jener schicksalshaften Begegnung beim Gemeindefest im Liverpooler Stadtteil Woolton am 6. Juli 1957. Ein perfekter Start des Albums und sicherlich eines der Highlights. „Stand by Me“ ist im Original von Ben E. King (1961), dessen Version 1986 nochmals zu großen Hit-Ehren kam, als der Titel im gleichnamigen Kinofilm („Stand By Me – Geheimnis eines Sommers“) zu hören war. Lennons singt in seiner Version einfach großartig und auch das Arrangement ist sehr interessant, lediglich die nachlässige Produktion / Mix lässt sehr zu wünschen übrig. Der Song wurde als Single ausgekoppelt und erreichte als höchste Position Platz 20 (USA).
Lennon verband auf schlaue Weise zwei Little Richard-Nummern zu einem packenden Medley „Rip It Up / Ready Teddy“, das McCartney als prädestiniertem Little Richard-Interpreten durchaus das Wasser reichen kann. Es folgt jene Chuck Berry-Komposition „You Can’t Catch Me“, die in ihren Strophen tatsächlich frappierende Ähnlichkeiten zu „Come Together“ aufweist. „Ain’t That A Shame“ war 1954 der erste große Hit für den Mann aus New Orleans mit der Brikettfrisur: Fats Domino, der sowohl auf John Lennon als auch Paul McCartney großen Einfluss ausübte. Auch dies eine überzeugende Darbietung Lennons. Etwas zäh ist dagegen der Song „Do You Want To Dance“ (Bobby Freeman, 1958), dem Lennon eine Art Reggae-Gewand verpasste. Sein neben Elvis wohl größtes Idol – Chuck Berry – stand Pate für das folgende Stück „Sweet Little Sixteen“. Auch hier hat die Phil Spector-Produktion einer gelungenen Interpretation eher im Weg gestanden. Wieder aufwärts geht es dann in „Slippin‘ And Slidin'“, erneut ein Little Richard-Klassiker, den auch Julian Lennon in seinen frühen Konzerten gerne im Programm hatte.
Lennon und McCartney verehrten beide Buddy Holly. So ist es nur logisch, dass auch er den Weg auf „Rock’n’Roll“ fand, und zwar in Gestalt des 1957er Hits „Peggy Sue“. Eine weitere feine Version, die Lennon hier einspielte. Danach folgt das zweite Medley des Albums, die Verbindung jeweils eines Songs von Sam Cooke und von Little Richard. Solide. Auf die Spector-Session geht auch „Bony Moronie“ zurück. Leider kann auch hier Lennons Version des Larry Williams-Stücks nur verlieren. Produktionstechnisch indifferent und dargeboten mit angezogender Handbremse. Der Lee Dorsey-Hit von 1961 „Ya Ya“ war bereits im „Zugabenteil“ von „Walls And Bridges“ zu hören, aber die auf „Rock’n’Roll“ vertretene ernsthaftere, aber halbherzig wirkende Einspielung kann kaum überzeugen.
Das Finale des Albums bildet „Just Because“ (nicht mit dem von Elvis Presley populär gemachten Song zu verwechseln). Lennon war mit dem von Phil Spector ins Spiel gebrachten Song zunächst nicht vertraut und war mit dem vorläufigen Ergebnis wohl auch nicht zufrieden, denn er nahm während der zweiten Aufnahmephase (Record Plant) den Gesang neu auf. Der von der berüchtigten „Wall Of Sound“ geprägte, etwas langatmige Song enthält zum Ende hin eine interessante Passage, während der sich John Lennon von seinen Hörern verabschiedet. Heute kann man sagen einen Abschied in die zurückgezogenen Jahre 1975-1980.
Die remastertete CD, überraschenderweise nur mit einem spärlichen und wenig informativen Booklet erschienen, wartet mit vier Bonus-Tracks auf: „Angel Baby“ und „To Know Her Is To Love Her“, zwei unausgegorene Spector-Favoriten, von denen der Erstgenannte noch hörbar ist. „Since My Baby Left Me“ (das auf den von Arthur Cudrup geschriebenen und von Elvis Presley bekannt gemachten Titel von 1956 zurückgeht) entstammt ebenfalls den Phil Spector-Sessions. Ein netter Abschluss der remasterten Version des Albums ist eine kurze alternative Reprise von „Just Because“, in der Lennon an seine ehemaligen Bandkollegen Paul, George und Ringo ein paar Grußworte richtet. Ingesamt betrachtet war jedoch in dieser Schaffensphase Lennons Phil Spector, der genug Probleme mit sich selbst hatte (und hat!), der falsche Produzent.
Für das Covermotiv wählte John Lennon übrigens passenderweise ein Foto aus der Hamburger Zeit der Beatles. Es wurde 1961 von dem gemeinsamen Freund der Band Jürgen Vollmer aufgenommen und zeigt John Lennon in den Türrahmen der Jägerpassage in der Wohlwillstraße 22 gelehnt. Durch die lange Belichtungszeit sieht man nur schemenhaft die Gestalten von Paul McCartney, George Harrison und Stuart Sutcliffe vorbeihuschen.
Das Album erreichte sowohl in den USA als auch in England Platz 6.
Anspieltipps:
Be-Bop-A-Lula / Stand By Me / Ain’t That A Shame / Peggy Sue
Bewertung:
Pressestimmen:
„Was 1974 noch wie eine gute Idee erschien, erwies sich später als Klotz am Bein. Trotzdem drückte er dem Album (…) seinen typischen Stempel auf“ – Rolling Stone (Deutschland)
„Das Resultat ist eine Offenbarung. LP und früheres CD-Remake sind totaler klanglicher Schrott im Vergleich zur Remix / Remaster-Fassung. Der alte Mix klingt so unterirdisch, als wäre das alles im Gully musiziert worden und nicht in einem Tonstudio. „Personally supervised by Yoko Ono“ liest man im Kleingedruckten. Und das war gut so.“ – Stereo 2/05
„This is the best sustained effort on John’s part since ‚Plastic Ono Band‘ “ – New Musical Express
“ ‚You should have been there‘, Lennon said. Few, frankly, would have fancied it.“ – MOJO
„Rock’n’Roll captures the bladdered insanity that surrounded the singer in 1973-4“ – Q Magazine
Leider wurde hier die Möglichkeit verpaßt Move Over Ms. L (B-Side der Single Stand By Me) remastered mit draufzupacken.
Was ich ja immer wieder vermisse, ist „Be My Baby“. Aber das nur nebenbei. Es gibt ja doch diverse Outtakes der Sessions, die ihren Weg auf Bootlegs gefunden haben. Warum dann bei einer Neuveröffentlichung keine zweite CD mit solchen Preziosen? „Move Over Ms L“ ist, denke ich, eins der Lieder, die bei Frau Ono nicht allzu gut angekommen sind. Es dann einfach zu ignorieren ist natürlich eine schwache Lösung.
Ob Spector wirklich der falsche Produzent war? Ich weiß nicht. Eigentlich lag es nahe ihn zu wählen. Aber tatsächlich hat sein zunehmend erratisches Verhalten nicht gut getan. Wie auch immer war es dann ja auch die letzte Zusammenarbeit mit ihm, oder?