1971 – „Ram“

Ram

Veröffentlicht:  28. Mai 1971
LP: Apple 1C 062 – 04810 (Deutschland)
CD: EMI 0777 7 89129 2 4 (Digitally Remastered)

Titel:
Too Many People / Three Legs / Ram On / Dear Boy / Uncle Albert /Admiral Halsey / Smile Away / Heart Of The Country / Monkberry Moon Delight / Eat At Home / Long Haired Lady / Ram On / The Back Seat Of My Car
Bonus Tracks auf der remasterten CD: Another Day / Oh Woman, Oh Why

Im Vergleich zu „McCartney“ wurde bei „Ram“ erkennbar mehr Wert auf Feinschliff gelegt – möglicherweise eine Reaktion auf die damalige Kritik an der Einfachheit des Vorgängers. Die Aufnahmen fanden jedoch nicht im heimatlichen England statt, sondern in den USA. In New York wurden die Columbia Recording Studios und die A&R Recording Studios gebucht, und an der kalifornischen Westküste die Sound Recorders Studios. Im Vorbereitungsprozess schrieb Paul McCartney dreißig Songs, von denen elf ihren Weg auf das Album schafften. In dieser Phase bezog McCartney seine Frau Linda erstmals sehr eng in seine kreativen Entscheidungen ein. Auf „Ram“ sind sogar sechs Songs als Co-Kompositionen von Paul und Linda ausgewiesen. John Lennon zog übrigens 1972 auf seinem „Some Time In New York City“-Album nach: Hier sind sechs Lennon/Ono-Kompositionen vertreten. Weder bei Lennon noch bei McCartney gab es das in diesem Ausmaß noch einmal. Es ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass beide ehemaligen Beatles sich demonstrativ und öffentlich von ihrem alten Songwrinting-Partner verabschiedeten. Abgesehen davon hatte Paul McCartney wenig Interesse, dass Einnahmen aus seinen neuen Veröffentlichungen der Firma Northern Songs zuflossen, die bislang die Rechte an dem Beatles-Songkatalog hielt. Auch wenn er das später vor Gericht bestritt, war wohl auch das ein Grund für Lindas Co-Autorenschaft.

Im November 1970 begannen Paul und Linda mit Vorspielterminen für verschiedene potenzielle Mitmusiker für „Ram“. Allein neun Schlagzeuger wurden getestet, bis sie sich für Denny Seiwell entschieden – ein Drummer der zuvor eher im Jazzbereich zuhause war. Das aufwändige Suchen und Testen war nicht ungewöhnlich: McCartney, Lennon und Harrison waren den Stil und den Ausdruck des Spiels von Ringo Starr gewöhnt und konnten sich nie leicht mit anderen Schlagzeugern abfinden, wenn Ringo für ihre Projekte nicht zur Verfügung stand. Besonders bei McCartney ist die Rotation auf dem Stuhl des Schlagzeugers sehr auffällig. Als zusätzliche Gitarristen wurden schließlich David Spinozza und Hugh McCracken verpflichtet, die allerdings nie gleichtzeitig auf einem „Ram“-Song vertreten waren.

Während des Tages wurde nun geprobt und am Abend dann aufgenommen. Im Februar 1971 konnte sich die Öffentlichkeit schließlich einen ersten Eindruck der Sessions verschaffen: „Another Day“ mit der B-Seite „Oh Woman, Oh Why“ (Bonus-Tracks auf der remasterten CD) wurde als Debüt-Single Paul McCartneys nach dem Ende der Beatles herausgebracht. Die beiden Songs waren die ersten Aufnahmen der „Ram“-Sessions. Bei „Another Day“, ein ordentlicher Hit in den England (Platz 2)  USA (Platz 5), erreichte Paul McCartney musikalisch gesehen wieder ansatzweise Gefilde, in denen sich die Beatles bewegten. Nach McCartneys eigener Aussage war dies der erste gemeinsam mit Linda geschriebene Song. Hier geht es einmal mehr um eine fiktive, allerdings anonym bleibende (weibliche) Person, deren Lebens- bzw. Berufsalltag beschrieben wird.

„Ev’ry day she takes a morning bath, she wets her hair
Wraps a towel around her as she’s heading for the bedroom chair
It’s just another day
Slipping into stockings
Stepping into shoes
Dipping in the pocket of her raincoat.
It’s just another day

At the office were the papers grow, she takes a break
Drinks another coffee and she finds it hard to stay awake
(…)“

Im Mittelteil findet ein kleines Revival der individuellen Vereinsamung statt, die McCartney bereits in „Eleanor Rigby“ („Revolver“, 1966) thematisierte:

„So sad, so sad
Sometimes she feels so sad.
Alone in her apartment she’d dwell
Til‘ the man of her dreams comes to break the spell.
Ah – stay,
Don’t stand her up.
And he comes, and he stays
But he leaves the next day, so sad
Sometimes she feels so sad.“

„Another Day“ ist ein schöner Song (am Schluss sogar mit leichtem Country-Touch), objektiv betrachtet jedoch ein wenig zu oberflächlich und immer noch nicht das, was McCartney-Klassiker stets ausmachte. Bei der B-Seite „Oh Woman, Oh Why“ fällt die Qualitätskurve hingegen noch weiter ab. Der Titel war nicht mehr als eine bessere Jam-Session, bei der McCartney eher brüllt als singt.

Das eigentliche „Ram“-Album beginnt mit „Too Many People“, einem hervorragenden Opener: rockig, überzeugend gesungen, klar und schlicht produziert sowie mit einem mitreißenden Gitarrensolo ausgestattet. Ohne Zweifel singletaugliche Qualitäten, doch der Song schaffte es nur als B-Seite von „Uncle Albert / Admiral Halsey“. Doch „Too Many People“ war nicht nur musikalisch bemerkenswert, sondern ist es auch wert, einen Blick auf den Text zu werfen:

„Too many people going underground
Too many reaching for a piece of cake
(…)
That was your first mistake
You took your lucky break
And broke it in two
Now what can be done for you?
You broke it in two.“

Zu dieser Zeit, 1971, traten John Lennon und Paul McCartney in einen ungewöhnlichen musikalischen Dialog. Wenn sie sich Dinge schon nicht persönlich sagen konnten und wollten, so ließen sie ihre Songs sprechen. Lennon wertete „Too Many People“ als einen Angriff auf sich und Yoko. Der Song ließ die Interpretation zu, dass McCartney hier seiner enttäuschung Luft macht, dass es sein ehemaliger enger Freund und vorzog, sich dem künstlerischen Underground (Yoko) zuzuwenden anstatt die gemeinsame musikalische Partnerschaft fortzusetzen. Das sei scheinbar der erste Fehler gewesen, der die Harmonie innerhalb der Beatles zerbrach. Lennon wiederum antwortete mit einer süffisanten Parodie des „Ram“-Albumcovers (er legte seiner „Imagine“-LP eine Postkarte bei, auf der zu sehen ist, wie John ein Schwein an den Ohren packt) und einer Hasstirade gegen McCartney in Form des Songs „How Do You Sleep?“ (siehe John Lennon „Imagine“).

Blueslastig geht es mit „Three Legs“ weiter. Dieser Song ist ein abermals Spiegelbild des damals äußerst schwierigen Verhältnisses McCartneys zu den anderen Ex-Beatles. Diese bezogen „Three Legs“ auf die „Einer-gegen-Drei“-Situation Anfang der 70er Jahre:

„My dog he got three legs
But he can’t run“

Deutlicher wird es hier:

„Well, when I thought, well, I thought
When I thought you was my friend
But you let me down
Put my heart around the bend.“

Was sich Paul McCartney auch immer genau dabei gedacht hat: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass er seine Songs vorsätzlich mit Botschaften an John Lennon versah. „Ram On“ hingegen ist unverfänglich. Eine schöne, kleine Melodie, bei der sich McCartney an der Ukulele begleitet. Gegen Ende des Albums taucht eine kürzere Reprise des Titels auf, die mit einem beschwingten „Who’s that coming ‚round that corner“ endet. Dieses Fragment griff McCartney zwei Jahre später wieder auf und veröffentlichte es als „Big Barn Bed“ auf dem Album „Red Rose Speedway“.

„Dear Boy“ ist ein vorzüglicher McCartney-Song. Die Produktion wirkt hier zwar ein wenig zu altmodisch nach „Swinging Sixties“, die Melodieführung ist mehr als bemerkenswert. So wie hier Klavierbegleitung, Harmonien und Leadgesang ineinandergreifen brauchen Vergleiche zu Klassikern nicht gescheut werden. Möglich, dass Johann Sebastian Bach zu dieser Zeit Ähnliches geschrieben hätte. Ohne jegliche musikalische Vorbildung nahm Linda McCartney damals ihrem Gatten zuliebe den Platz ein, den ehedem John Lennon innehatte. Das Amateurhafte scheint auf „Ram“ immer wieder durch, doch der Wille der McCartneys war unerschütterlich. Elton John hingegen äußerte zu einem späteren Zeitpunkt über „Dear Boy“, dass dieser Song die besten Harmonien enthalte, die er seit langem gehört habe.

Der einzig veritable Hit von „Ram“ war „Uncle Albert/Admiral Halsey“, in den USA erreichte dieser Titel Platz 1 der Charts. Bis heute hat sich eine ganz respektable Reihe von Coverversionen dieses Titels angesammelt, eine der ungewöhnlichsten stammt dabei von dem Jazz-Trompeter Freddie Hubbard. „Uncle Albert/Admiral Halsey“ ist in sich verschachtelte und komplex arrangiert –  aber dennoch eingängig. Paul und Linda McCartney nehmen sich bei dieser groß angelegten Produktion Gott sei Dank nicht immer ganz ernst, sei es bei dem quäkigen „Hands across the water“ oder bei dem durch und durch britischen Mittelteil („Admiral Halsey notified me …“). Sogar John Lennon ließ sich bei seiner Geburtstagsfeier zu einer Parodie des Songs hinreißen.

Musikalisch eher unbedeutend, aber erdig rockend präsentiert sich Paul McCartney bei „Smile Away“. In diesem Bluesrock (mit teils recht nervigem Harmoniegesang) singt Paul von spektakulären Erkenntnissen wie der, eines Tages auf der Straße einen Freund getroffen zu haben, der sagte, er habe schon über eine Meile hinweg Pauls übel riechenden Füße wahrnehmen können. Auch wenn er seiner Heimatstadt Liverpool schon lange entwachsen war, so bewahrte sich Paul McCartney stets den Humor der Mersey-Metropole. Mit seiner Familie lebte Paul McCartney nun aber schon eine ganze Weile auf dem Land. Die Liebe zu dieser Umgebung ist Thema von „Heart Of The Country“, einer leichtfüßige Ballade, die von McCartneys Gesang, einem manchmal treibenden Bass und einem ausgezeichneten Solo, welches unisono von Akustikgitarre und Stimme dargeboten wird.

Ein kurioses Stück ist „Monkberry Moon Delight“. Eine gewaltige Belastungsprobe für McCartneys Stimme und ein Text, der Rätsel aufgibt. „Monkberry Moon Delight“ ist der Name eines Mixgetränks – das ist noch die am leichtesten zu lösende Aufgabe. Doch der Rest stellt den wohl rätselhaftesten Text an, den Paul McCartney je geschrieben hat. Scheinbar hatte er zu viel des Elixiers zu sich genommen. Anders hätte er wohl kaum in einem Song erzählt, mit einem Piano auf der Nase auf dem Dachboden zu sitzen, wo der Wind eine schreckliche Kantate spielt. Eine Menge Ratten gibt es dort, die für allerlei Geräusche sorgen, bevor das lyrische Ich schreckerfüllt zweier Knaben angesichtig wird, die sich in an einem Faß von eben jenem Getränk laben. Der Erzähler ist sich darüber hinaus bewusst, dass seine Banane älter ist als der Rest und dass er seinen Schlafanzug einem Herrn namens Billy Budapest überlassen will. Aha. — Auch dieser Song hat eine nicht minder kuriose Coverversion hervorgebracht, und zwar die des mittlerweile leider verstorbenen sympathischen Schreihalses Screaming Jay Hawkins (bekanntester Titel: „I Put A Spell On You“). Sollte ich irgendwann einmal die Möglichkeit erhalten, Paul McCartney sprechen zu können, würde ich ihm nur eine Frage stellen: „Paul, welcher Deubel hat dich bei „Monkberry Moon Delight“ geritten?“

In unspektakulärerem Fahrwasser bewegt sich dann „Eat At Home“, eine einfache Schunkelweise darüber, wie angenehm es ist zu Hause zu essen. War der „Monkberry“-Geschichte noch ein Feuerwerk der Phantasie, so ist „Eat At Home“ kaum an Plattheit zu übertreffen. „Long Haired Lady“ ist eigentlich ein schönes Lied mit vielen Facetten und einer ansprechenden Melodie, leidet aber wie auch „Eat At Home“ an den limitierten gesanglichen Fähigkeiten Lindas – speziell in der vornehmlich von Linda gesungenen Passage „(Well, well, well, well, well,) do you love me like you know you ought to do? …“. Das kann je nach Stimmung ziemlich auf den Wecker gehen.

Kein Album ohne die klassische McCartney-Ballade. Im Fall von „Ram“ ist dies „The Back Seat Of My Car“. Diesen Titel stellte Paul bereits im Januar 1969 den Beatles während der „Let It Be“-Sessions vor, die das Stück allerdings nicht weiter verfolgten. In der Zwischenzeit feilte McCartney an der Komposition und konnte nun ein recht majestätisch wirkendes, aufwändig produziertes Werk vorlegen. Überraschenderweise konnte die in England ausgekoppelte Single nicht an den Erfolg von „Uncle Albert / Admiral Halsey“ anknüpfen (sie stieg bis auf Platz 39).

Es gibt immer mehr Musikfreunde, die „Ram“ zu ihren McCartney-Favoriten zählen. „Ram“ ist ein sehr interessantes Album, das dazu einlädt, (wieder-)entdeckt und wertgeschätzt zu werden. Ungeachtet aller sicherlich vorhandenen Unzulänglichkeiten dieses charmanten Albums möchte ich nicht weniger als sechs Empfehlungen zum Anspielen geben:

Anspieltipps:

Too Many People / Dear Boy / Uncle Albert/Admiral Halsey / Heart Of The Country / Monkberry Moon Delight / The Back Seat Of My Car

Bewertung:

Pressestimmen:

“ (…) ‚Ram‘, although much better than the first [album], fails (…) to match up to those of Harrison and Lennon.“     – New Musical Express, 22. Mai 1971

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