2008 – Liverpool Sound Concert

Anfield Stadium – 1. Juni 2008

(Alle Fotos: © Ansgar Bellersen – Verwendung nur mit ausdrücklicher Genehmigung)

Liverpool 08

Our kid’s coming home:
Paul McCartney live in Liverpool

Mit fast 43 Jahren ist der Lack ab. Doch das fortgeschrittene Alter hat – sofern man das Glück eines sicheren Arbeitsplatzes hat – auch seine Vorteile. Vor sechzehn Jahren hatte ich die Gelegenheit, eine Reise zum einzigen europäischen Konzert von George Harrison (nach dem Ende der Beatles) zu buchen. Doch ich konnte es mir 1992 nicht leisten, Ticket, Flug nach London, Unterkunft und sonstige Nebenkosten zu berappen, um mir Georges Konzert in der Royal Albert Hall anzusehen. Heute bereue ich das zutiefst und ärgere mich über mich selbst. Irgendwie hätte das doch machbar sein müssen.

Doch heute muss Gott sei Dank nicht mehr jeder Cent umgedreht werden. So überlegte ich nicht lange, als es im Oktober 2007 hieß, Paul McCartney würde am 1. Juni 2008 in Liverpool ein Konzert geben. Nicht nur, dass dieser Auftritt den Veranstaltungs-Höhepunkt im Rahmen der Würde Liverpools als europäische Kulturhauptstadt 2008 darstellen würde. Es bedeutete auch, dass der bedeutendste noch lebende Songschreiber des 20. Jahrhunderts in seine Heimatstadt zurückkehrt. Nach dem Ende der Beatles gab Paul McCartney fünf Konzerte in Liverpool: 1972, 1975,1979, 1990 und 2003. Speziell die letzten beiden Auftritte waren besonders emotionsgeladen und boten etliche außergewöhnliche Momente. Dass es so war, weiß ich nur aus zweiter Hand. Dieses Mal aber wollte ich dabeisein. Und ich hatte Glück. Per Losverfahren wurden die Tickets zugeteilt und so konnte ich mich am 30. Oktober 2007 schon auf meine Reise nach Liverpool freuen.

Alleine ist das Vergnügen nur halb so groß. Aus diesem Grund wollte ich das Ereignis mit einem guten Freund teilen, denn schließlich hatte ich für zwei Tickets bezahlt. Moritz, mein alter Kumpel aus Bremer Tagen, war sofort bereit, mit mir nach Liverpool zu reisen. Leider hatte Moritz bereits wenige Monate später die Gewissheit, dass er wegen beruflicher Verpflichtungen absagen musste. Einer, von dem ich glaubte, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre mitzukommen, sprang dann ein: Mein Freund Frank. Ein mehr als guter Ersatz also.

Aus verschiedenen Himmelsrichtungen kommend, trafen wir uns in einem Wohngebiet in Hannover Langenhagen. Unsere Autos parkten wir dort und riefen ein Taxi, das uns zum Flughafen brachte. Gegen 20:00 Uhr landeten wir sicher in Manchester, von wo aus es mit dem Zug nach Liverpool ging. An der Lime Street keine dirty Maggie Mae, dafür aber ein Taxi, das uns zum Pineapple Hotel in Ringos altes Viertel Dingle brachte. Es war schon in den fortgeschrittenen Abendstunden, als wir unsere bescheidene Bleibe in Beschlag genommen hatten, kurz ausruhten und uns anschließend zu Fuß in Richtung Zentrum aufmachten. Auf dem Weg dort hin fielen uns mehrere herumlungernde Jugendliche auf, die einem nicht gerade das Gefühl gaben, in einer sicheren Gegend zu wohnen (nach Mitternacht nahmen wir dann wieder ein Taxi). Auf dem Weg ins Zentrum gab es in Form einer Wandmalerei schon erste Hinweise auf Beatle City:

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Hier wurde uns schon ein besonderer Teil von McCartneys Setlist verraten

Wir kamen bei starker Bewölkung in Manchester an, aber während unseres Marsches lockerte der Himmel immer mehr auf und auch die Temperaturen waren relativ angenehm. Endlich näherten wir uns der Fußgängerzone, als ich zur Linken aus dem Augenwinkel die Buchstaben „FACT“ an einem Gebäude prangen sah. Sofort fiel mir ein, dass in diesem Kino/Veranstaltungszentrum in der Wood Street die Premiere der neuen Beatles-DVD „All Together Now“ („The making of The Beatles‘ LOVE by Cirque du Soleil“) stattfand – wohlgemerkt in Anwesenheit von Georges Witwe Olivia. Doch die Türen waren verschlossen und es machte auch den Eindruck, dass dort nur noch Personal durch das Foyer lief. Dann sah ich ein Schild, das darauf hinwies, dass es zwei Aufführungen gab. Eine gegen 18:00 Uhr, die andere gegen 20:30 Uhr. So blieb doch noch eine gewisse Chance gewahrt. Ich schlug vor, um das Gebäude zu gehen und tatsächlich, auf der Rückseite dann einige wartende Fans, roter Teppich, Polizei und weitere Security. Frank knurrte der Magen und außerdem war er ohne englische Währung angereist und somit immer noch auf der Suche nach einem Geldautomaten. So musste ich meine ganze Überredungskraft aufwenden, um ihn mit Erfolg zum Bleiben zu bewegen.

Dass Olivia Harrison noch dort war, konnte als ziemlich sicher angesehen werden, denn wenn man sich bestimmte Fans ansieht (die es auch dort in Form einer fanatischen älteren Dame mit Dark Horse-T-Shirt gab), dann schwinden die letzten Zweifel. Darüber hinaus fragten wir uns, ob unsere Mit-Erdbeere und Hotelgenosse Alex es wohl geschafft haben mochte, ein Ticket für die Veranstaltung zu ergattern (so viel vorweg: er war nicht dort und wir trafen ihn erst am nächsten Morgen im Hotel). Die weitere Wartezeit verbrachten wir damit, durch die Glastür zu spähen, ob man denn irgendeinen Prominenten entdecken konnte. Die Palette vermeintlicher Sichtungsergebnisse ging von Amy Winehouse bis Stella McCartney. Doch der erste echte Bekannte, den wir entdeckten, war Joe Brown und später Ray Cooper, obwohl mir bei Letzerem auch leichte Zweifel blieben. Doch dann ging es plötzlich ganz schnell. Wir wurden für die Promi-Karossen von der Straße gescheucht und alle Sicherheitskräfte gingen in Position. Dann ging ruck zuck die Tür auf und wir konnten beobachten, wie Joe Brown und Olivia Harrison (und dahinter Ray Cooper u.a.) gut gelaunt den roten Teppich herunter flanierten, und zwar direkt zum wartenden Auto hin. Ich hatte zwar einen Block und Kugelschreiber im Anschlag, doch wie gesagt ging alles sehr, sehr schnell und so wie ich das aus meiner zweiten Reihe sehen konnte, bekam niemand ein Autogramm. Aber – und das hat mich sehr gefreut – ich konnte ein sehr schönes Foto machen:

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Olivia Harrison und Joe Brown beim Verlassen der „All Together Now“-Aufführung
(im Hintergrund mittig zu sehen: Ray Cooper)

Das war also schon mal ein ganz wunderbares Erlebnis. Jetzt war aber endlich Frank an der Reihe: Der nächste Geldautomat war unser. Die Briten lieben das Schlange stehen und so mussten wir auch hier warten, was uns allerdings Gelegenheit für allerlei interessante Beobachtungen gab. So zum Beispiel der volltrunkene Gitarrist, der direkt neben der Cash Machine eine schräge Version von „Stand By Me“ zum Besten gab. Oder auch das sichere Gespür der Engländer(innen) für besonders peinliche Bekleidung. Oder auch die Feststellung, dass die Inselaffen alle Hemmungen verlieren, sobald die Temperaturen an der 20°-Marke kratzen. Luftigste Outfits (aber eben mit dem Stempel der Geschmacksverirrung versehen) und ausgelassene, aber deutlich alkoholgeschwängerte Stimmung. So ziemlich jeder hatte was intus.

Schon dort und dann auch weiter in der Fußgängerzone und im Cavern Quarter waren wir erstaunt, das überall der Bär los war. Remmidemmi wohin man blickte. Vor dem Eingang der Mathew Street (von der den Albert Docks abgewandten Seite) spielte ein Straßenmusiker eine knackige Version von „Johnny B. Goode“. Um ihn herum eine ganze Traube von mitgrölenden Leuten. Es war offenbar ein textsicherer Passant, der sich das Mikro schnappte und die Meute durch diesen Chuck Berry-Klassiker peitschte. Das war schon eine fabelhafte Stimmung! Die Möglichkeiten, irgendwo einen Happen zu essen, schwanden immer mehr, so dass wir unsere Mägen notgedrungen bei McDonald’s beruhigen mussten. War aber auch ganz O.K. – Zurück im Hotel war es dann schon bald 1:00 Uhr, aber trotzdem genehmigten wir uns im Hotelpub noch ein Lager. Was für eine Plörre!

Die erste Nacht – wie auch die weiteren – verlief ohne Schnarchattacken mit schweren Geschützen. Auch wenn die beiden ungekrönten Schnarchkönige sich hier ein Zimmer teilten, so fanden sich Mittel und Wege, die Nachtruhe fortzusetzen. So erkannte Frank den Trick, mich durch ein einfaches Klatschen schnarchmäßig in die Knie zu zwingen, während es bei mir anders war: Sobald ich bereit war, Franks Sägen mit Filmkamera oder Handy aufzunehmen, erreichte er plötzlich nur noch Dezibelwerte eines leisen Akku-Rasierers. Vom Warten auf weitere lautstarke Salven wurde ich dann schließlich selbst müde und schlief weiter. Häärlich.

Das Hotel. Nicht die allerletzte Absteige, aber eben auch nicht wirklich toll. Immerhin konnten wir uns einigermaßen zwischen den Betten bewegen, was Alex und sein mitgereister Vater Heiner nicht konnten. Den Alex traf ich dann auch auf dem Weg zur Etagendusche/WC. Beim Frühstück saßen wir dann zusammen, belustigten uns über das englische Frühstück und beratschlagten, wie wir den Tag gestalten wollten. Alex und Heiner hatten vor, einen Flohmarkt zu besuchen. Die Idee gefiel uns gut und so fuhren wir per Bus dort hin. Auf dem Weg kamen wir unverhofft am Anfield Stadium vorbei und ärgerten uns schon ein bisschen, nicht die Unterlagen zum Abholen der Konzerttickets mitgenommen zu haben. Der Flohmarkt war eine ziemliche Enttäuschung, da dieser hauptsächlich aus Textilien-Ständen und nicht aus Kunst, Krempel und eventuellen Beatles-Schätzen bestand. Immerhin ergatterte Frank urheberrechtlich mehr als fragwürdige DVD-Exemplare von „Walk Hard“, „Cloverfield“, „Narnia“ (Double Feature) und dem neuen Indy-Film zu einem Spottpreis.

Anschließend fuhren wir wieder ins Zentrum und aßen einen Happen, d.h. Frank versuchte es: Seine Fish’n’Chips-Mahlzeit ließ er nach wenigen Bissen als ungenießbar stehen. Da wir uns schon am Rande des Cavern-Quarter befanden, war der Beatles-Shop in der Mathew Street das nächste Ziel. Auch dem anderen, ganz in der Nähe gelegenen Beatles-Laden, den wir schon im letzten Jahr besuchten, brachten wir unser Geld. Im Gegenzug bekamen wir aber auch etliche feine Souvenirs.

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Heiner, Frank und Alex gegenüber vom Beatles Shop in der Mathew Street
(Cavern Quarter)

Danach trennten sich unsere Wege. Alex und Heiner – Globetrotter, die sie sind – wollten sich Liverpool vom Meer aus ansehen und fuhren nach New Brighton (Ausläufer von Liverpool). Im Nachhinein haben wir ein bisschen bedauert, die Beiden nicht begleitet zu haben, denn die Fotos, die sie uns später im Pub zeigten, waren einfach großartig. Wunderbare maritime Eindrücke bei prallem Sonnenschein. Aber auch wir genossen die Sonne und tranken selbstgebrautes Bier im Baltic Fleet Pub, ganz in der Nähe der Albert Docks. Frank, der ja noch keine ordentliche Grundlage hatte, bekam die Wirkung von zwei Pints (noch dazu in der sengenden Sonne) zu spüren. Etwas angedüdelt spazierten wir an den Albert Docks entlang, betrachteten die dort scheinbar seit Ewigkeiten stattfindenden Sanierungsaktionen und Baumaßnahmen (darunter die mittlerweile fertige Echo Arena), warfen die eben geschriebene Karte an Peter in den Kasten (jawohl, in die gleiche Letterbox vom Vorjahr) und stellten mit Erstaunen fest, dass der Beatles Story-Shop um 17:50 Uhr schon geschlossen war – obwohl eine Öffnungszeit bis 19:00 Uhr ausgewiesen war. Zu unserer Überraschung gibt es aber sozusagen um die Ecke einen neuen Beatles Shop. Auch hier verlor unser Portemonnaie an Gewicht.

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Ein offizielles Konzertplakat gab es in Liverpool nicht zu sehen, wohl aber dieses monumentale Transparent

Zum Schluss aßen wir zu einem guten Preis-/Leistungsverhältnis bei einem Italiener, bevor es dann wieder zurück zum Pineapple Hotel ging. Schließlich waren wir um 20:00 Uhr mit Alex und Heiner verabredet. Wir tauschten unsere Erlebnisse aus, tranken das, was sie dort Bier nennen und sahen mit den anderen Pubgästen im TV das sehr interessante aktuelle Konzert „An Audience with Neil Diamond“. Auch schön. Der Tag war nicht ohne Anstrengung, denn vor unserem Besuch im Baltic Fleet Pub waren wir noch in Anfield, um am Stadion unsere Tickets abzuholen. Eine sehr weise Entscheidung, denn wir waren nach gut fünf Minuten im Besitz unserer Karten, während am Tag des Konzerts rund um das Stadion absolutes Chaos herrschte. Danach waren wir noch im riesigen Fanshop des FC Liverpool und deckten uns auch hier mit Andenken und Mitbringseln ein.

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Das „Liverpool Sound Concert“ soll vor dem Abriss die letzte Veranstaltung im Anfield Stadium sein (Nachtrag 2014: Die Pläne für den Abriss wurden inzwischen aufgegeben. Nun soll das Stadion sogar auf 60.000 Plätze erweitert werden)

Im Anschluss fuhr uns ein Taxi wieder in die Stadt, wo wir letztlich dann beim erwähnten Baltic Fleet Pub landeten. Nach diesen (angenehmen) Anstrengungen gingen wir relativ zeitig auf unser Zimmer und relaxten.

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 Über den Dächern von Dingle – Blick aus der obersten Etage unseres Hotels

Leider war der Konzerttag wolkenverhangen, so dass Frank und ich uns gegen einen Trip nach New Brighton entschieden. Stattdessen unternahmen wir zusammen mit Alex und Heiner eine Fahrt zum Stanley Dock Tobacco Warehouse-Flohmarkt. Zwischen und in riesigen, inzwischen leider sehr sanierungsbedürftigen Lagerhäusern fand dieser Markt statt, der weitaus reizvoller war, als der Flohmarkt am Tag zuvor. So richtig eingekauft haben wir dort auch nicht, aber die Atmosphäre war sehr nett und die über 100 Jahre alten Backsteingebäude wahnsinnig eindrucksvoll.

An diesem Vormittag wollten wir uns auch eine John Lennon-Kunstausstellung ansehen, die im Echo Atrium in der Old Hall Street stattfand. Da die Ausstellung erst um 12:00 Uhr geöffnet wurde, mussten wir ein wenig warten und sahen uns im ersten Stock dieses großen Glasgebäudes eine Ausstellung mit collagierten Gemälden von Anthony Brown an. Dieser Künstler stellte 100 faszinierende Bilder von berühmten Liverpoolern aus. Neben Michael McCartney war uns aber nur dieser Herr hier bekannt:

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Ein überaus gelungenes Porträt von John Lennon

Die Ausstellung selbst hatte zwar nicht den gewaltigen Umfang der „Original John Lennon“-Werkschau in Bremen 1995, war aber trotzdem schön ausgestattet. Die Originale waren in der Minderheit (etwa ein Dutzend), der Großteil bestand aus Serigrafien. Die teuerste war eine Kombipackung der Zeichnungen „Why Me?“/“Why Not?“ und kostete schlappe 7.900 Pfund.

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Diese kleine Druckgrafik sollte 4.700 £ kosten

Draußen hatte es sich mittlerweile ordentlich eingeregnet. Nach einem flüchtigen Zwischenstopp in einem Einkaufszentrum gingen wir geradewegs zur Lime Station, denn Frank und ich mussten unbedingt noch unsere Zugfahrzeiten herausbekommen, denn am Montag sollte der Flieger schon um 9:25 Uhr ab Manchester starten. Im Bahnhof trennten wir uns dann von Alex und Heiner. Die Beiden mussten ja wegen ihrer Tickets auch noch rechtzeitig zum Stadion. Außerdem hatte Alex ja geplant, weit vor die Bühne zu kommen. Frank und ich hatten dagegen Zeit. Wir suchten noch einmal einen Geldautomaten auf, kauften die Bahntickets für Montag und schlenderten anschließend zum Mittagessen. Chinesisches Büffet, allerdings nichts wirklich Besonderes.

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Zwischen Lime Street und China Restaurant bot sich im strömenden Regen
ein nettes Fotomotiv

Die Platzkarten konnte uns keiner nehmen, und so ruhten wir uns im Hotelzimmer noch eine ganze Weile aus. Gegen 17:00 Uhr bestellten wir ein Taxi, das uns zum Anfield Stadium brachte. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen und es blieb auch trocken. Rund um das Stadion ging gar nichts mehr (weder vor noch nach dem Konzert). Ein heilloses Durcheinander und Schlange stehen in abgesperrten, labyrinthartigen Gängen. Endlich waren wir drin und auch der sicher am Paket verstaute Fotoapparat wurde nicht entdeckt. Die Sache hatte nur einen Haken. Wir waren drin und hatten nur noch Geld für die Rückfahrt zum Hotel (der Geldautomat am Stadion war leider außer Betrieb) und dabei lachten uns so schöne Sachen am Merchandising-Stand an. Ich stellte mich trotzdem an, um zu fragen, ob man auch mit Euro zahlen könne. Bevor ich diese Frage stellen konnte, nahm ich zur Kenntnis, dass dort auch mit Kreditkarte bezahlt wurde. Also kaufte ich uns Programmhefte und ein T-Shirt. Rückblickend betrachtet hat es sich nicht unbedingt gelohnt. Das Programmheft ist zwar äußerlich ganz schön, weil wie eine LP in Schutzhülle aufgemacht – inhaltlich aber sehr, sehr dürftig. Besteht zur Hälfte aus Anzeigen der Werbepartner des Konzertes. Das zugegebenermaßen schöne T-Shirt hätte ich mir in der Hektik mal genauer ansehen sollen. Der Aufdruck hinten sitzt nicht zentral auf dem Shirt, sondern viel zu weit rechts. Egal, wir kamen wegen der Musik und deshalb machten wir uns schnell auf zu unseren Plätzen. Diese boten, kurz hinter der Höhe der Mittellinie gelegen, einen guten Überblick auf das Geschehen. Bequem war es aber überhaupt nicht. Wir beide haben wahrscheinlich noch nie so eng in einem Fußballstadion gesessen.

Nun denn, gegen 18:30 Uhr (wenn ich nicht irre) legten die Zutons los. Diese Liverpooler Band war gar nicht so verkehrt. Interessant für Auge und Ohr war die Saxofonistin und Songs wie „Valerie“, „Always Right Behind You“ und „You Will You Won’t“ haben mich zwar nicht umgehauen, wussten aber wohl zu gefallen. Diese Gruppe streift mit ihrer Musik verschiedene Stilrichtungen, was sehr interessant ist, aber vielleicht auch ein „Problem“, denn die darauf folgenden Kaiser Chiefs hatten ein deutlich markanteres musikalisches Profil. Doch bevor ich zu den Kaisers komme, noch eine kleine Anekdote: In der Umbaupause zwischen den Zutons und Kaiser Chiefs kam ich gerade vom Bier holen zurück, wer kommt mir da entgegen? Unser Paule-Lookalike Neil Tudor aus Liverpool/Blackpool (siehe Liverpool 2007) im letzten Jahr (er saß nicht weit von uns entfernt)! Freudige Überraschung auf beiden Seiten. Wir unterhielten uns eine Weile und Neil erzählte, dass er gerade zurück sei aus Las Vegas, wo er bei einer Doppelgänger-Show Konzerte gab – zusammen mit Kollegen wie „Elton John“, „Rod Stewart“ oder „Madonna“. Dann wollte Herr Tudor selbst an die Bar, versprach allerdings, sofort auf einen weiteren Plausch zurückzukommen. Ich nehme aber an, dass er wegen seines Aussehens dort aufgehalten wurde und nicht wiederkam, bevor die Kaiser Chiefs anfingen.

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Die O’Bell-Macca-Reunion 😉

Die Bühnendeko der Kaiser Chiefs amüsierte mich. Ob beabsichtigt oder nicht: Im Hintergrund befand sich ein 3-D-Schriftzug des Bandnamens, exakt so, wie die Beatles ihn 1966 bei ihrer Japan-Tour verwendeten.

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Bühne frei für die Chiefs!

Zum Auftritt: Die Kaiser Chiefs machten mächtig Dampf und hatten einen deutlich lauteren und dabei besseren Sound als Freund McCartney anderthalb Stunden später. Sie verfügen außerdem über einen charismatischen Frontmann, der die Massen mitreißen kann. Die Highlights waren natürlich die Hits „Ruby“ (großartig!), „I Predict A Riot“ und „Oh My God“. Beide Vorgruppen lieferten dramaturgisch gesehen ein sehr gutes Einheiz-Programm ab und fühlten sich nach eigener Aussage sehr privilegiert, an diesem Abend auftreten zu dürfen.

Nun aber stieg unser persönlicher Andrenalin-Pegel, insbesondere ab dem Zeitpunkt der McCartney Pre-Show, die dieses Mal daraus bestand, dass rechts und links von der Bühne auf der Videoleinwand (ähnlich einer Laufschrift wie beim Abspann eines Films) Fotos und Memorabilia aus McCartneys bewegter Karriere abgespielt wurden. Dazu lief die Musik wie bei der letzten Pre-Show; also viel vom Twin Freaks-Album. Als sich die Bilder zu wiederholen begannen, war die Umbauphase beendet und die Ansage für Paul McCartney erfolgte. In der Zeitung las ich gestern, dass der britische Komiker Peter Kay für die McCartney-Ankündigung verpflichtet wurde. Wir kannten den Burschen nicht, registrierten aber seine Anspielung auf die in England derzeit sehr populäre Castingshow „Britain’s Got Talent“. Er sagte sinngemäß, dass nun jemand käme, der defintiv Talent hätte. Und schon ging’s los mit „Paul Mildred McCartney“ (O-Ton Peter Kay).

Der erste Moment war (ähnlich wie bei der Zugabe) völlige Verblüffung, dass Paul mit dem „Hippy Hippy Shake“ loslegte. Welche Überraschungen mochten danach wohl noch folgen, wenn es schon jetzt so losgeht? Zweites Gefühl: Warum ist das alles so leise, warum kommt McCartneys Stimme nicht richtig durch? Doch die Freude war bei mir einfach größer. So lange hatte ich auf dieses Konzert gewartet und nun wollte ich mir durch solche Spitzfindigkeiten nicht den Abend verderben lassen.

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In der Dämmerung beginnt Paul McCartneys fünftes Liverpool-Konzert
seit dem Split der Beatles

Ich bin mir mit Alex darüber einig, dass „Jet“ als zweiter Song in Macca-Konzerten wie Faust auf’s Auge passt. Spätestens jetzt lagen die Liverpooler (bzw. die von überall angereisten Fans) Paul McCartney zu Füßen. Gut, bei einigen Songs war es etwas ruhiger (z.B. „Flaming Pie“, „C Moon“ oder „In Liverpool“), was aber wohl mit daran liegt, dass diese Songs nicht unbedingt jedem bekannt sind. Überraschenderweise kam aber „Dance Tonight“ sehr gut an. Da sangen rund um uns herum schon eine ganze Menge Leute mit.

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Ab und zu spielt McCartney Songs, die bisher kaum jemand kannte
– in diesem Fall „In Liverpool“

Bei „Let Me Roll It“ griff ich zum ersten Mal zum Handy und rief bei zwei Erdbeerfelder-Freunden an – zunächst bei Martin. Ich hielt den Hörer hin, habe aber keine Ahnung, ob er (oder später Heidi bei „Something“) irgendetwas davon mitbekommen hat. „Let Me Roll It“ ist auch meiner Meinung nach eine feste Größe und aus einem McCartney-Konzert kaum wegzudenken. „My Love“ höre ich auch immer gerne, was aber sicherlich auch damit zusammenhängt, dass dies einer meiner liebsten Songs ist, die ich auf dem Klavier spiele. Was ich nicht haben muss, ist ein Song wie „C Moon“. Finde ich zu banal und ich hab’s auch mittlerweile zu oft gehört. Als „In Liverpool“ erklang, war ich ebenso baff wie damals, als ich mir die Bonus-DVD des „Liverpool Oratorio“ ansah, und plötzlich dieses schöne Stück wahrnahm.

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 „This song is for Linda – My Love“

Dass McCartney zwei Songs von „Flaming Pie“ spielt, ist toll. Ich mag auch „Calico Skies“ sehr gerne, nur würde ich mir auch mal wünschen, dass Alben wie „Chaos“ oder „Memory Almost Full“ (warum nur „Dance Tonight“?) oder auch ältere Solo-Sachen nicht völlig ignoriert werden. Aber was beklage ich dieses alte, immer wieder aktuelle Dilemma? Zwar schade, aber ändern wird es sich wohl nie. Dazu fehlt Paul eine große Portion Mut und man muss sich als Fan mit dem zufrieden geben, was einem geboten wird. Und das ist für mich verdammt nochmal immer noch genug, mir so viel Freude zu bereiten, wie es kein anderer Musiker (außer George, dessen 1992er Auftritt ich, wie bereits eingangs erwähnt, leider versäumt habe) vermag.

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Feueralarm bei „Live And Let Die“

Bei „Something“ war für mich der Augenblick völliger Verzückung da. Es tut McCartneys Liveversion sehr gut, dass er sich am Arrangement des „Concert For George“ orientiert. Die zweite, sich an den Ukulelen-Teil anschließende Hälfte ging mir sowas von unter die Haut, dass ich nicht wusste, ob ich vor lauter Glücksgefühlen lachen oder weinen sollte. Gän-se-haut pur!

Danach folgte ein Highlight dem nächsten. Immer wieder schön ist die Live-Version von „Live And Let Die“ mit der obligatorischen Pyrotechnik-Show. Auch die Begeisterung um den Auftritt von Dave Grohl schwappte mächtig zu mir herüber. Es kam so, wie ich’s vermutete: Grohl hatte seinen ersten Einsatz als Gastsänger und Gitarrist bei „Band On The Run“. Der Kerl war in seinem Element und genoss jeden Augenblick. Das war absolut nicht zu übersehen. Nicht unbedingt erwarten konnte man, dass er dann noch für zwei Songs („Back In The U.S.S.R.“ und später bei „I Saw Her Standing There“) an einem zweiten Drumkit spielte. Und auch da gab er volles Pfund und prügelte seine Schießbude wie „The Animal“ bei den Muppets. Ganz, ganz großes Kino!

„Yesterday“ hat man ja schon oft gehört und manchmal ertappe ich mich sogar bei Gedankenspielen, wie oft Paul das wohl singen kann, ohne dabei die Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Antwort gab es hier, auf’m Platz. Auch „Yesterday“ gehört einfach dazu und es war schlichtweg magisch, das ganze Stadion dieses, ja, Meisterwerk singen zu hören. Ähnliches spielte sich bei „Hey Jude“ ab. Oft gehört, aber am Ende doch nicht kaputt zu kriegen. Danach war dann erst einmal Schluss. Aber die 36.000 schrien Paul McCartney herbei … und dann kam etwas, womit wohl kaum jemand rechnete.

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Der zweite Teil des Lennon-Tributes: „Give Peace A Chance“

Während der Zugabe-Forderungen spekulierte ich mit Frank darüber, dass jetzt doch eigentlich noch ein Lennon-Tribute fehlen würde. Doch als die ersten Akkorde von „A Day In The Life“ folgten, konnten wir nur Bauklötze staunen. Wahnsinn, so etwas noch erleben zu dürfen! Nur schade, dass dieses Epos nicht voll ausgespielt wurde. Dementsprechend unglücklich fand ich den Übergang zwischen „A Day In The Life“ und „Give Peace A Chance“. Dennoch weitete sich auch bei „Give Peace A Chance“ mein Herz zu einem saftigen Steak und erst, als am Ende des Songs das Feuerwerk einsetzte, realisierte ich:“Ja, nun isses wirklich vorbei“.

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Schlusspunkt eines großartigen Konzerterlebnisses

Frank und Alex – so war jedenfalls mein Eindruck nach den Gesprächen – sehen dieses Konzert deutlich nüchterner, aber für mich gesprochen würde ich sogar sagen, dass ein Traum in Erfüllung ging. Es hat mich sehr, sehr bereichert, einen Auftritt von Paul McCartney in seiner Heimatstadt erlebt zu haben. Das war schon etwas ganz Besonderes. Und dabei ist es mir – sorry – scheißegal, ob McCartneys Stimme vielleicht hier und da ihre Macken hatte. Meiner Ansicht nach – und ich kenne aus dem letzten Jahr deutlich schlechtere Beispiele – hat Paul sehr ordentlich und überzeugend gesungen.

Was schreibt man jetzt? Warum sitze ich überhaupt fünf Stunden an diesem Text (Bildbearbeitung nicht inbegriffen)? Warum kann ich mich nicht mal auf ein paar kurze Zeilen beschränken, wie das andere auch tun? Hm … weil es für mich nicht eben eine irgendeine aufwendige Wochenendreise war, sondern ein Ereignis, das mir unwahrscheinlich viel bedeutet und das gefühlsmäßig dem „Concert For George“ sehr nahe kommt. Und das mit anderen zu teilen, ist wohl ein Grundbedürfnis bei mir. Ich merke das übrigens erst jetzt, da ich diese Zeilen schreibe. Vielleicht relativiere ich das irgendwann ein bisschen, aber das kann nur marginal sein. — Jetzt muss ich aber mal die Kurve kriegen, bevor ich zu introspektiv und damit zu langweilig werde.

Schneller als erwartet trafen wir auf Alex und Heiner und hatten unsere liebe Mühe, eine Fahrgelegenheit zu finden, die uns wieder ins Stadtzentrum bringen konnte. Wie bereits angesprochen, herrschte absolutes Chaos und es sah so aus, als könne uns niemand den richtigen Weg zu den Bussen weisen. Von Taxis ganz zu schweigen. Für die nächsten Stunden war wohl jedes Taxi in Liverpool belegt.

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Ratlosigkeit. Wo und wann und wie kommen wir an ein Taxi oder Bus?

Nach einem Fußmarsch von gefühlten 20 Meilen entdeckten wir endlich die Sondereinsatz-Busse und es war etwa 0:30 Uhr, als wir in Liverpools Zentrum ankamen. Ans Essen war nicht mehr zu denken, aber für ein paar Schluck Cider kamen wir noch in einen Pub, bevor wir uns dann wieder auf Taxi-Suche machten. Ziemlich erledigt fielen wir schließlich in unsere Hotelbetten und genossen noch die letzte halbe Stunde der BBC-Aufzeichnung im Fernsehen.

Nur ein paar Stunden später klingelte der Wecker. Schnell noch geduscht, Tasche gepackt und ab ins Taxi, denn um 7:15 Uhr ging unser Zug ab Lime Street. Die restliche Anreise bis zum Boarding war von einigen Hindernissen garniert, so dass wir keine Minute später hätten ankommen dürfen. Ich hatte sogar keine Zeit mehr, meine restlichen Britischen Pfund im Duty Free Shop o.ä. auszugeben. Schließlich und endlich hat aber alles geklappt. Wir landeten pünktlich in Hannover, kamen schnell mit dem Taxi in die Wohnstraße, wo die Gartenzwerge unsere Automobile gut bewacht hatten. Nun hieß es, sich zu verabschieden, nach Hause zu fahren und das Erlebte erst einmal sacken zu lassen.

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Weise Worte des Bordmagazins

Dieser Text wurde zuerst im Forum der Erdbeerfelder veröffentlicht – unter dem Eindruck ganz frischer Erinnerungen. Nun, etwa einen Monat nach dem Konzert, baue ich den Bericht auf www.ex-beatles.de ein und meine Gedanken zu diesem Auftritt McCartneys sind nicht weniger euphorisch. Ganz sicher zählt Liverpool 2008 zu den denkwürdigsten Auftritten in der Solo-Karriere des ehemaligen Beatles … und auch zu den Highlights in meiner persönlichen Geschichte als Beatles-Fan und Konzertgänger.

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Abschließend noch die Setlisten des „Liverpool Sound Concert“:

 

The Zutons:

1. Zuton Fever
2. Don’t Ever Think
3. Why Don’t You Give Me Your Love?
4. Pressure Point
5. What’s Your Problem?
6. Confusion
7. Valerie
8. Dirty Dancehall
9. Always Right Behind You
10. You Will, You Won’t

 

Kaiser Chiefs:

1. Everything Is Average Nowadays
2. Everyday I Love You Less And Less
3. Heat Dies Down
4. Ruby
5. Never Miss A Beat
6. Modern Way
7. Half The Truth
8. Na Na Na Na Naa
9. I Predict A Riot
10. You Want History
11. The Angry Mob
12. Take My Temperature
13. Oh My God

 

Paul McCartney:

1. Hippy, Hippy Shake
2. Jet
3. Drive My Car
4. Got To Get You Into My Life
5. Flaming Pie
6. Let Me Roll It
7. My Love
8. C Moon
9. Long And Winding Road
10. Dance Tonight
11. Blackbird
12. Calico Skies
13. In Liverpool
14. I’ll Follow The Sun
15. Eleanor Rigby
16. Something
17. Penny Lane
18. Band On The Run (mit Dave Grohl)
19. Back In The USSR (mit Dave Grohl)
20. Live And Let Die
21. Let It Be
22. Hey Jude

Zugaben:
23. Yesterday
24. A Day In The Life/Give Peace A Chance
25. Lady Madonna
26. I Saw Her Standing There (mit Dave Grohl)

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