Walls And Bridges
Veröffentlicht: 04. Oktober 1974
LP: Apple 1C 062 – 05 733 (Deutschland)
CD: EMI 0946 3 40972 2 2 (Digitally remixed and remastered)
Titel:
Going Down On Love / Whatever Gets You Thru The Night / Old Dirt Road / What You Got / BlessYou / Scared / #9 Dream / Surprise, Surprise (Sweet Bird Of Paradox) / Steel And Glass / Beef Jerky / Nobody Loves You (When You’re Down And Out) / Ya Ya
Viele meinten im Album „Mind Games“ – auch im Bezug auf das von John Lennon persönlich gestaltete Cover – einen Abschied von Yoko erkannt zu haben. Tatsächlich wurde aus der dort dargestellten Distanz zwischen den Beiden bald Realität. Schon im August 1973 fädelte Yoko Ono ein, dass die Assistentin der Lennons, eine Chinesin namens May Pang, sich an John Lennon heranmachte. Einen Monat später setzte Yoko John quasi vor die Tür und schickte ihn zusammen mit May Pang fort nach Los Angeles. Die Trennung John Lennons von Yoko Ono währte immerhin 18 Monate und ging als sein „Verlorenes Wochenende“ in die Beatles-Historie ein; vor allem deshalb, weil John in dieser Zeit kaum eine Gelegenheit ausließ, mit genussfreudigen Kumpanen wie Ringo Starr, Harry Nilsson oder Keith Moon über die Stränge zu schlagen. Offenbar fand auch John Lennon Gefallen daran, hatte er doch seit den wilden Hamburger Tagen sich weitgehend den Zwängen seines Prominentenstatus gefügt.
Musikalisch aktiv blieb Lennon weiterhin. Er wollte seinen Traum realisieren, ein Album mit Rock’n’Roll-Klassikern einzuspielen. Doch die mit dem Produzenten Phil Spector begonnenen Sessions waren geprägt von Alkohol- und Drogenexzessen, einer chaotischen Gesamtatmosphäre und einem unzuverlässigen Phil Spector. Die Album-Sessions wurden im Januar 1974 abgebrochen. Etwa zeitgleich ließ Yoko Ono verkünden, dass sie die Scheidung will, verliert aber ein paar Wochen später kein Wort mehr darüber. Es hatte nicht den Anschein, dass die Spector-Sessions kurzfristig wieder aufgenomen werden konnten, so dass Lennon seine kreative Energie in die Produktion des Harry Nilsson-Albums „Pussycats“ steckte. Im Sommer 1974 machte sich John Lennon jedoch wieder an ein eigenes Projekt. Einige Demos entstanden bereits im Juni und die fertigen Aufnahmen mündeten schließlich im Album „Walls And Bridges“.
„Going Down On Love“ ist ein sehr interessantes, rhytmisch vertracktes Stück mit einigen Querverweisen auf ältere Songs von Lennon. So beginnt der Titel mit Gesang und Gitarre unisono, so wie es schon in „I Want You (She’s So Heavy)“ (vgl. „Abbey Road“, 1969) der Fall war. Er zitiert sogar in der Zeile „Somebody please, please help me“ einen seiner größten Erfolge: „Help!“ (1965). Das schwungvolle „Whatever Gets You Thru The Night“ entstand in Zusammenarbeit mit Elton John, der hier nicht nur sein obligatorisches Power-Piano spielt, das lediglich mal von Bobby Keys Saxophon in die zweite Reihe gedrängt wird, sondern auch gesanglich gut mit John Lennon harmoniert. Mit dem seinerzeit stets präsenten Harry Nilsson schrieb John „Old Dirt Road“, eine schöne Ballade, die in hohem Maße profitiert von der „Wah Wah“-Gitarre Jesse Ed Davis‘ und dem Piano von Nicky Hopkins (das ganz ähnlich in „Waiting On A Friend“ von den Rolling Stones klingt). Harry Nilsson, der dem Song deutlich seinen Stempel aufdrückte, nahm übrigens auch seine eigene Version von „Old Dirt Road“ auf (vgl. „Flash Harry“, 1980).
„What You Got“ ist kein Glanzstück des Albums. Zwar röhrt Lennon hier wie in alten Tagen und die Weisheit „You don’t know what you got / Until you lose it“ kann auch autobiographisch verstanden werden, aber der Song wirkt wie vieles auf dem Vorgängeralbum „Mind Games“ etwas unausgegoren. Bedeutend reizvoller geht es dann aber weiter mit „Bless You“ – eine Ballade mit jazzigem Flair, nicht zuletzt durch das damals populär gewordene Fender Rhodes-Piano (hier gespielt von Ken Ascher). Auch dieser Song könnte als flehende Bitte an Yoko interpretiert werden:
„Some people say it’s over
Now that we spread our wings
But we know better darling
The hollow ring is just last year’s echo.“
Mit unheimlichen Wolfsgeheul beginnt „Scared“, ein Blues, in dem Lennon recht desillusioniert auf sein Leben blickt:
„Every day of my life
I just manage to survive
(…)
Hatred and jealousy
Gonna be the death of me …
I’m tired, I’m tired, I’m tired
Of being so alone
No place to call my own
Like a rolling stone.“
Über allem schwebt jedoch „#9 Dream“, der zweifellos schönste Titel von „Walls And Bridges“. Erneut mit prägnater Gitarre von Jesse Ed Davis und einem geschmackvollen Streicherarrangement. „Two spirits dancing so strange“ könnte natürlich wieder synonym für John und Yoko oder gar Yoko und May stehen, aber die Interpretation von „#9 Dream“ bleibt schwierig. Und das nicht nur wegen des Nonsens-Refrains „Ah, böwakama poussé, poussé“. May Pang schreibt in ihrem Buch „Loving John“, dass „Surprise, Surprise (Sweet Bird Of Paradox)“ für sie geschrieben wurde – was auch durchaus so gedeutet werden kann:
„She gets me through this God awful loneliness
A natural high butterfly Oh I,
I need, need, need, need her.“
„Steel And Glass“, ganz klar ein Highlight des Albums, weist vom (Streicher-)Arrangement her klare Parallelen auf zu „How Do You Sleep“ (vgl. „Imagine“, 1971). Einleitende Worte kommen von Lennon selbst: „This is the story of your friend and mine … who is it?“. Ganz klar wird es nicht, auch wenn es im Text heißt:
„Your mother left you when you were small
But you’re gonna wish
You wasn’t born at all.“
Getrost vergessen kann man das Instrumental „Beef Jerky“. Es enthält zwar einen knackigen Bläsersatz, kommt aber aus der allgemeinen Belanglosigkeit nicht heraus. Bevor die Streicher und Bläser in „Nobody Loves You (When You’re Down And Out)“ einsteigen, kommt einem der Song wie ein Ableger von „John Lennon/Plastic Ono Band“ (1970) vor. Heute wirkt der Titel mit seiner Zeile „Everybody loves you when you’re six foot in the ground“ fast wie eine Prophezeihung, wird doch Lennon seit seinem gewaltsamen, frühen Tod oftmals viel zu sehr verklärt und zum Heiligen hochstilisiert.
Das Album wird durch einen kleinen, nur 1:06 Min. währenden Bonus-Song abgerundet: Julian Lennon, damals 11 Jahre alt und zu Gast bei einem der wenigen Besuche bei seinem Vater, begleitet den Piano spielenden John mit schüchternen, aber doch verhältnismäßig präzisen Schlägen auf der Snare-Drum, der sich durch eine „just for fun“-Version von Lee Dorseys „Ya Ya“ krächzt. Witzig.
Trotz nachdenklicher Zwischentöne gelang hier John Lennon ein gutes, melodiöses Album, auf dem er sich eine Vielzahl von Pseudonymen gab: „Dr. Winston O’Boogie“, „Dr. Winston O’Ghurkin“, „Rev. Thumbs Ghurkin“, „Kaptain Kundalini“, „Rev. Fred Ghurkin“, „Dr. Dream“, „Dr. Winston O’Reggae“, „Dr. Winston and Booker Table and the Maitre d’s“ und schließlich „Dwarf McDougal“. Das Cover wurde aufwändig gestaltet, lässt sich mehrfach aufklappen und enthielt Reproduktionen einiger Zeichnungen aus John Lennons Kindheit. Auch im großformatigen Booklet, das dem Album beigelegt war, sind weitere Zeichnungen enthalten, die die künstlerische Ader Lennons andeuten. Dieser optische bzw. gestalterische Reiz bleibt bei CDs wie so häufig auf der Strecke.
„Walls And Bridges“ war auch kommerziell deutlich erfolgreicher als der Vorgänger: Platz 6 in England und Platz 1 in den USA. Die Single „Whatever Gets You Thru The Night“ erreichte ebenfalls Platz 1 der US-Charts. Kurioserweise hatte Elton John darauf gewettet und John Lennon das Versprechen abgenommen, dass dieser ihn bei einem Konzert begleiten würde, sollte der Song tatsächlich die Spitzenposition erreichen. Und so wurde John Lennons Auftritt (er spielte und sang mit Elton „Whatever Gets You Thru The Nigt“, „Lucy In The Sky With Diamonds“ und den McCartney-Song „I Saw Her Standing There“) beim Elton John-Konzert im New Yorker Madison Square Garden am 28. November 1974 sein letzter überhaupt.
Anspieltipps:
#9 Dream / Steel And Glass / Whatever Gets You Thru The Night / Bless You
Bewertung:
Pressestimmen:
„Every song is compulsive, melodic and lyrically strong.“ – New Musical Express
„Separated, ’semi-sick‘ and drinking L.A. dry, the man begs for one more chance.“ – MOJO
„‚Walls And Bridges‘ is a very slick, Californian sounding record, the taut funk and smooth balladry masking potent lyrical messages of loss and desperation.“ – Q Magazine
„‚Walls And Bridges‘ war Lennons letzte große LP.“ – Musikexpress