2008 – „Electric Arguments“

arguments

Electric Arguments

Veröffentlicht:  28. November 2008
LP: One Little Indian/Rough Trade TPLP 1003 / 5016 958 1040 1 6
CD: One Little Indian/Rough Trade TPLP 1003 CD / 5016 958 1040 2 3

Titel:
Nothing Too Much Just Out Of Sight / Two Magpies / Sing The Changes / Travelling Light / Highway / Light From Your Lighthouse / Sun Is Shining / Dance ‚Til We’re High / Lifelong Passion / Is This Love? / Lovers In A Dream / Universal Here, Everlasting Now / Don’t Stop Running

„The Fireman is no nickname – simply a warm place in the head“, so kündet es ein Werbesticker von der Hülle der neuen CD von Paul McCartneys Nebenprojekt „The Fireman“. „Electric Arguments“ ist das Album betitelt und stellt die mittlerweile dritte Kooperation zwischen dem Ex-Beatle und Martin Glover (alias „Youth“) dar, dem früheren Bassisten der britischen Post-Punk Band Killing Joke („Love Like Blood“). Wenn auch McCartney und Youth ein wenig vom Projektnamen The Fireman ablenken wollen und betonen, dass dieser Feuerwehrmann eher als Synonym für ein Lebensgefühl zu verstehen ist, so ist der breiten Öffentlichkeit die wahre Identität des Fireman erst jetzt offengelegt worden. Man kann es auch anders formulieren: Die beiden Vorgängeralben „Strawberries Oceans Ships Forest“ (1993) und „Rushes“ (1998) spielten in den Augen der Medienvertreter und der Musikkonsumenten kaum eine Rolle, was vor allen Dingen daran lag, dass es sich bei eben jenen Tonträgern um Instrumentalmusik handelt, die nicht jedermanns Sache ist. In Fankreisen herrschte 1993 nur kurze Verwirrung bis zur Gewissheit, dass sich hinter The Fireman Paul McCartney verbirgt. Doch gekauft haben das Album nur die ganz harten Fans – und selbst diese bedienten sich hier (vor allem beim Debüt „Strawberries…“) nicht selten der Angebote vom Grabbeltisch. 2008 sieht es anders aus. Nach zehnjähriger Pause hat The Fireman seine Stimme gefunden – nämlich die von Paul McCartney. Auch die Titel des Albums erinnern nur im letzten Drittel an die Ambient-Dance-Electronic-orientierten Klanggebilde der Vorgänger. „Electric Arguments“ bewegt sich ungleich deutlicher in Richtung gängiger Popsong-Formate. Ungeachtet dessen ist das Album stilistisch von großer Bandbreite. Konzeptionell arbeiteten Paul McCartney und Youth unter der Maßgabe, pro Tag einen Song zu schreiben und aufzunehmen. Innerhalb eines Jahres entstanden so, wann immer für die beiden Musiker ein Zeitfenster frei war, insgesamt 13 Songs. Paul McCartney übernahm dabei das Songwriting und die instrumentale Ausführung und Youth das Mischpult.

Den nicht zu überhörenden Startschuss für dieses Album setzt „Nothing Too Much Just Out Of Sight“, ein Brachialgewitter aus wuchtigen Schlagzeugkanonaden, schwermetalligem, bluesgetränktem Sperrfeuer der E-Gitarren, gelegentlich einsetzenden Bluesharp-Zutaten und McCartneys Reibeisenorgan. Die Platte beginnt demnach ganz ähnlich, wie das Vorgängeralbum „Memory Almost Full“ mit „Nod Your Head“ aufhörte. – nur weniger albern und blueslastiger. Man kann sich an dieser Stelle kaum vorstellen, dass es sich bei „Electric Arguments“ um ein Werk mit experimentellem Ansatz handelt. „Nothing Too Much Just Out Of Sight“ war der erste Song des Albums, der vor Veröffentlichung offiziell zum kostenlosen Download bereitstand. Auch im Radio wurde er gespielt: Beim nicht gerade McCartney-freundlichen BBC Radio 1 adelte Moderator Zane Low „Nothing Too Much …“ als „Hottest record in the world right now“. Sogar die „Times“ ließ sich zu einem „Arcade Fire meets Led Zeppelin“-Vergleich hinreißen. In der Tat zählt „Nothing Too Much …“ zu den härtesten Songs, die er je aufgenommen hat und würde auf einem Led Zeppelin-Album auch nicht wie ein Fremdkörper wirken. Der Titel basiert auf einem einzigen Akkord (E); nur kurz kommt ein zweiter (C) dazu (ab 1:55 Min.) und wenig später ein dritter (A, ab 2:07 Min.), bevor es für die restlichen drei Minuten wieder zurück zu Improvisationen auf dem E geht. Das ist zwar alles ganz kernig, rockend und ungewohnt für McCartney, auf Dauer aber etwas monoton. Der Bass erinnert durch seine Verzerrung ein wenig  an das Bassspiel auf „She’s Given Up Talking“ („Driving Rain“, 2001). McCartneys Stimme orientiert sich am schon erwähnten „Nod Your Head“, aber auch an seiner Hardrock-Pionierleistung „Helter Skelter“ (White Album, 1968). Das raue Organ des Ex-Beatles wird zusätzlich verfremdet, höchstwahrscheinlich durch das berühmte kugelig-runde Bluesharp-Mikrofon (auch „Fahrradlampe“ genannt) der Firma Shure. Aber auch dieser Effekt kann nicht vertuschen, dass McCartneys Alter seiner Stimme zugesetzt hat. So ist bei vielen Freunden und Wertschätzern der Singstimme Paul McCartneys schon seit einigen Jahren das Hörvergnügen merklich getrübt.

„I love you
I said I love you
I thought you knew
The last thing to do was
To try to betray me
The new morning light
I’ll never forget it
Nothing too much just out of sight.“

So klagt McCartney in „Nothing Too Much Just Out Of Sight“. Seit dem Tod von Pauls erster Frau Linda und verstärkt seit dem Kapitel Heather Mills wird in neue Songtexte viel hineininterpretiert – meist zu viel. So waren auch bei „Nothing Too Much ..“ schnell die Experten zu Stelle, die darin einen Seitenhieb auf die Frau zu sehen, die Paul McCartney so viel Ärger bereitet hat. Darauf angesprochen, erklärte McCartney, der Song habe rein gar nichts mit Heather Mills zu tun, sondern gehe vielmehr auf einen Ausspruch eines früheren Bekannten namens Jimmy Scott zurück. Dieses Zitat war die Basis und drumherum wurden quasi ohne genauen Plan Textzeilen hineingebrüllt. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass McCartneys Unterbewusstsein eine Rolle spielte. Jimmy Scott scheint übrigens einige Sprüche auf Lager gehabt zu haben, denn auch das geliebt-gehasste „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ kommt aus dem Repertoire der Scottschen Erzählungen.

Bis in die frühen 80er Jahre erreichte Paul McCartney mit seiner Stimme spielend die höchsten Register. Mit zunehmenden Alter hat er an seinem Kompositionsprinzip nichts geändert, auch live werden immer noch die gleichen Tonarten wie im Original gespielt. Keine Zugeständnisse an die nicht gerade taufrische Stimme auch im folgenden Song „Two Magpies“. Dieser Titel schlägt leisere Töne an und erinnert an akustische Nummern wie „Blackbird“ („White Album“, 1968) oder zuletzt „Jenny Wren“ („Chaos And Creation In The Backyard“, 2005). Der entspannte, leicht jazzige Shuffle ist typischer McCartney der relaxten Sorte. Aber warum singt McCartney erneut – diesmal Falsett – in einer Stimmlage, in der nicht mehr wirklich überzeugen kann? So viel Zerbrechlichkeit in der Stimme tut fast schon körperlich weh. Auch „Two Magpies“ blieb von Deutungen nicht verschont. So wurde behauptet, mit den zwei (diebischen) Elstern seien Heather Mills und ihre Schwester Fiona gemeint. Der Text bietet allerdings keinerlei Hinweise, die die These bekräftigen könnten.

„Sing The Changes“ ist ein fröhlicher und flotter Song, dessen einfache Melodie sich sofort im Kopf des Hörers einnistet. Es ist lange her, dass Paul McCartney einen so zeitgemäßen und eingängigen Song der Öffentlichkeit präsentierte. So verwundert es nicht sonderlich, dass „Sing The Changes“ als erste Singleauskopplung auserkoren wurde (Veröffentlichungsdatum noch unbekannt). Doch irgendetwas irritiert, irgendetwas fehlt – und bald wird klar, was es ist: Entweder fehlt der Refrain oder die Strophen. Das, was „Sing The Changes“ enthält würde wegen seiner Eingängigkeit sowohl als Strophe als auch als Refrain herhalten. Mit etwas mehr Arbeit und Feinschliff hätte „Sing The Changes“ das Zeug zum größten Hit McCartneys seit „Hope Of Deliverance“ („Off The Ground“, 1993). Auf Paul McCartneys offizieller Homepage ist seit Ende November 2008 bereits ein Videoclip zu „Sing The Changes“ zu sehen. Ob McCartney als Hauptakteur (vor unter hinter ein wenig hektisch wirkenden Einspielungen und Effekten) die richtige Wahl war, mag bezweifelt werden, denn sein Agieren vor der Kamera wirkt ein wenig unbeholfen und aufgesetzt.

Mittelalter, Feen, Zauberer, Zwerge, weite Landschaft, keltische Weisen – das sind Assoziationen, die einem bei den Klängen von „Travelling Light“ in den Sinn kommen. Ruhig und schwebend, mit angenehmer Stimme dargeboten, trägt der Song den Hörer durch die eingangs geschilderten Bilder. Statt zu einem Refrain hinzuleiten folgen im Mittelteil einige Soundeffekte, die höchtswahrscheinlich vom Moog Syntheziser oder von einem Mellotron stammen. Etwa ab 3:40 Min. schwenkt die traumwandlerische Atmoshäre plötzlich zu einer Art Shanti, in der ein Seemann seine Sehnsucht beschreibt:

“I’ll be traveling tonight
Oh across the sea
Where she waits, she waits for me
Across the broken sea
From the sea
From the sea.“

Wer würde beim Wort „Highway“ eine sanfte Ballade erwarten? Wohl kaum jemand. Folgerichtig geht es beim gleichnamigen Titel auch rockig weiter.

(Fortsetzung folgt)

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