1980 – „Double Fantasy“

Double Fantasy

Veröffentlicht:  16. November 1980
LP: Geffen Records GEF 99 131 (Deutschland)
CD: EMI 07243 5 28739 2 0 (Digitally remixed and remastered)

Titel:
(Just Like) Starting Over / Kiss Kiss Kiss / Cleanup Time / Give Me Something / I’m Losing You / I’m Moving On / Beautiful Boy (Darling Boy) / Watching The Wheels / Yes I’m Your Angel / Woman / Beautiful Boys / Dear Yoko / Every Man Has A Woman Who Loves Him / Hard Times Are Over
Bonus Tracks auf der remasterten CD: Help Me To Help Myself / Walking On Thin Ice / Central Park Stroll (dialogue)

1975 war ein besonderes Jahr für John Lennon. Sein Plattenvertrag mit EMI / Apple war erfüllt und seine 18-monatige Trennung von Yoko Ono beendet. Zudem führte auch die Geburt des einzigen gemeinsamen Sohnes Sean an John Lennons 35. Geburtstag am 9. Oktober 1975 dazu, sich aus dem Showgeschäft zurückzuziehen.

John Lennon konnte das Leben im Dakota Building (am Central Park West) zunächst sehr genießen. Er, der sich um seinen Erstgeborenen so gut wie gar nicht kümmerte, war auf Wiedergutmachungskurs und sorgte sich nun hingebungsvoll um den neuen Sprössling, während Yoko die millionenschweren Geschäfte des Ex-Beatles übernahm. Auch genoss John die Ruhe, mal nicht im Rampenlicht zu stehen und zu einem bestimmten Termin ein neues Album abliefern zu müssen. Dennoch darf man nicht der Legende Glauben schenken, Lennon sei von 1975 bis 1980 der Brot backende, treu sorgende Vater gewesen, der die Gitarre an die Wand hängte und fünf Jahre lang nicht anrührte. Phasenweise vernachlässigte er Sean sogar, schlug vor dem Fernseher die Zeit tot, flüchte sich in Anfälle von Kaufrausch und ließ sich gehen. Doch die Musik ließ ihn im privaten Rahmen nicht los. Es entstanden haufenweise neue Songs, die für Demozwecke aufgenommen wurden und in Form von Schwarzpressungen den meisten ernsthaften Beatles-Sammlern vorliegen.

Ende der 70er Jahre juckte es John Lennon in den Fingern, bald wieder ins Studio zu gehen. Wie ausgewechselt kehrte er Ende Juli 1980 von einer Bermuda-Reise zurück. Zuvor hatte Yoko, die mehr denn je Johns Über-Mutter und damit Entscheidungsträgerin war, bereits alles in die Wege geleitet. Das New Yorker Studio Record Plant wurde angemietet und Jack Douglas als Produzent verpflichtet. Douglas war bereits Toningenieur beim „Imagine“-Album und Yokos LP „Fly“ und machte zuletzt von sich reden als Produzent von Rockbands wie Aerosmith und Cheap Trick. Unter den Begleitmusikern waren der David Bowie-Gitarrist Earl Slick und Paul Simons Bassist Tony Levin. Später stießen mit Rick Nielsen und Bun E. Carlos auch noch zwei Cheap Trick-Musiker dazu. Heutzutage sind fünf Jahre Pause zwischen zwei Alben nichts Ungewöhnliches, doch damals war eine solche Auszeit eine halbe Ewigkeit. Die Öffentlichkeit nahm daher mit Freude und gespannter Erwartung das bevorstehende Comeback Lennons zur Kenntnis.

Die Sessions zu „Double Fantasy“ waren teils locker und entspannt. So wurde beispielsweise der Oldie „Dream Lover“ oder auch das von Jackson Browne bekannt gemachte „Stay“ gespielt. Auch fängt die Band immer wieder an, McCartneys „She’s A Woman“ anzuspielen, worüber sich Lennon herrlich aufregt. Die Aufnahmen waren zuweilen aber auch nicht unproblematisch. Nicht nur, dass Lennon stets alles ganz schnell „im Kasten“ haben wollte. Er ärgerte sich manchmal auch maßlos über die Bevormundung durch Yoko. Jack Douglas erinnert sich an ein Ereignis am 13. August 1980, als Lennon und sein Team mit den Aufnahmen von „Cleanup Time“ beschäftigt waren. Paul McCartney versuchte mehrfach John ans Telefon zu bekommen, doch Yoko weigerte sich, den Anruf durchzustellen. John wurde erst gar nicht informiert, dass sein ehemaliger musikalischer Partner angerufen hatte. Später regte sich Lennon mächtig darüber auf. Dies, so Douglas, sein besonders bitter gewesen, da Lennon im Studio äußerte, gern auch mal wieder Songs mit McCartney schreiben zu wollen.

Doch zum fertigen Produkt: Zunächst einmal war das Konzept von „Double Fantasy“ (benannt nach einer Blumenart) ein völlig anderes als bei allen vorigen Lennon-Veröffentlichungen (lediglich das Fiasko „Some Time In New York City“ geht in diese Richtung): Auf dem Album wechseln sich Songs von John Lennon und von Yoko Ono dialogartig ab. Die Eröffnungsnummer „(Just Like) Starting Over“ – die erste Single des Albums – ist wie die meisten anderen Stücke ein tagebuchartiges Statement zum Ist-Zustand der Lennons. In „Starting Over“ bekräftigt Lennon, dass Yoko und er zwar eine Menge durchgemacht haben, aber nun vor einem Revival ihrer Liebe stehen, die immer noch etwas Besonderes ist. Musikalisch ist der Song von den 50er Jahren beeinflusst, garniert mit ein paar Parodien auf Elvis‘ Gesangsstil und so ganz anders als alles, was sich Ende 1980 in den Charts tummelte. Yokos Songs hingegen, auf die hier so ausführlich eingegangen werden soll, sind dagegen bedeutend zeitgemäßer – abgesehen von einem bewusst antiken Song wie „Yes I’m Your Angel“ und der pathetischen Schlussballade „Hard Times Are Over“. Nicht selten wurde Yoko als Wegbereiterin von extravaganten Popstars wie die B 52s oder Björk tituliert. Mit Recht. Ihre Songs auf „Double Fantasy“ (und dem Nachfolger „Milk And Honey“), passen wie Deckel auf Topf in die damalige Musiklandschaft von Post-Punk und New Wave.

„Cleanup Time“ ist ein funky, sorgfältig produzierter Song mit interessanten Bläsersätzen und einer markanten Sologitarre. Der Text erinnert ein wenig an Lennons Reimkunst in „Cry Baby Cry“ („White Album“, 1968), ist aber erneut eine aktuelle Lebensbeschreibung:

„The queen is in the counting home
Counting out the money
The king is in the kitchen
Making bread and honey.“

Nie ging John Lennon in einem Song hart mit Yoko ins Gericht. In „I’m Losing You“ tut er es. In diesem Blues, der als einziger Song von „Double Fantasy“ an den „alten“, bissigen John Lennon erinnert, klagt er darüber, dass es ihm nicht möglich ist, mit Yoko zu kommunizieren. Noch nicht mal ans Telefon bekommt er sie und das macht ihm Angst, er könne sie verlieren. Er wisse zwar, ihr Unrecht getan zu haben, möchte die Sache aber abhaken. Wie alles auf „Double Fantasy“ ist auch „I’m Losing You“ ziemlich glatt gebügelt worden. Eine dank der Cheap Trick-Musiker wesentlich härtere Fassung ist auf der „John Lennon Anthology“ enthalten.

Eine traumhafte Ode an seinen Sohn Sean schrieb John Lennon mit „Beautiful Boy (Darling Boy)“. Dieses „Gute Nacht“-Lied hat eine einfache, aber zu Herzen gehende Melodie. Die Instrumentierung verbreitet karibisches Flair und der Text enthält eine Zeile, die in den vergangenen Jahrzehnten oft im Zusammenhang mit John Lennon zitiert wird:

„Life is what happens to you
While you’re busy
Making other plans.“

Der Regisseur Stephen Herek verwendete „Beautiful Boy“ für seinen überaus empfehlenswerten Kinofilm „Mr. Holland’s Oups“ (Hauptrolle: Richard Dreyfuss). Dem Song kommt in diesem Film eine zentrale Bedeutung zu und rührt auch hier zu Tränen.

Der darauf folgende Titel „Watching The Wheels“ zählt zu den stärksten Momenten des Albums. Der Song ist eine Erklärung seiner Dakota-Philosophie und eine deutliche Ansage an all jene, die es nicht verstehen konnten, dass ihm das Musikbusiness in den letzten fünf Jahren nicht gefehlt hat.

„People say I’m crazy doing what I’m doing
Well they give me all kinds of warnings to save me from ruin
When I say that I’m O.K., they look at me kind of strange
Surely you’re not happy now you no longer play the game.“

(…)

Well they shake their heads and look at me as if I’ve lost my mind
I tell them there’s no hurry …
I’m just sitting here doing time
I’m just sitting here watching the wheels go round and round.“

Eines der bekanntesten Lieder aus John Lennons Soloschaffen ist „Woman“. Eine ausgesprochen schöne Melodie, ein leidenschaftlicher Gesang – alles in allem ein wahrer Lennon-Klassiker. Er selbst bezeichnete „Woman“ übrigens als den „Beatle track“ des Albums. Diese Liebeserklärung an Yoko lässt keine Gedanken an eine Ehe am Scheideweg zu. Dennoch halten sich bis heute hartnäckig Theorien, Yoko – die seinerzeit ein lang anhaltendes Verhältnis mit dem Ungarn Sam Havadtoy begann – habe 1980 Vorbereitungen für eine Scheidung getroffen. Doch solange Yoko oder Havadtoy dazu nicht klar Stellung beziehen (und das werden sie auch nicht tun), bleibt es bei Gerüchten.

In „Dear Yoko“ versichert jedenfalls John seiner Frau ewige Liebe und beteuert, sie selbst nach all den Jahren schmerzlich zu vermissen, wenn sie nicht in seiner Nähe ist. Nicht nur wegen des Titels, sondern auch wegen der beschwingten, optimistischen Atmosphäre wirkt „Dear Yoko“ wie ein später Ableger von „Oh Yoko!“ („Imagine“, 1971).

Der Bonus-Teil der remasterten CD beginnt mit einem Piano-Demo des ziemlich schwülstigen Stücks „Help Me To Help Myself“. Lennon tat gut daran, diesen Song nicht weiter auszuarbeiten. Daran schließt sich Yokos „Walking On Thin Ice“ an. Eine passende Wahl, denn schließlich war es dieser Song, an dem Yoko und John am 8. Dezember 1980 zuletzt arbeiteten, bevor sie sich wieder zum Dakota Building bringen ließen. Dort kam es dann bekanntlich zur unausweichlichen Begegung John Lennons mit seinem Mörder. Abgerundet wird die CD mit einem kurzen Gesprächsfetzen Lennons, der bei einem Spaziergang durch den Central Park aufgenommen wurde: „Well, here we are again. Just two ordinary people strolling through the park.“

So gewöhnlich war John Lennon natürlich nicht. Die Erwartungen an das neue Album waren daher hoch und nach der Veröffentlichung zeigten sich nicht wenige enttäuscht über das, was sie zu hören bekamen. Die Single „(Just Like) Starting Over“ stieg gerade mal auf Platz 40 der Charts ein. Nach Lennons Ermordung katapultierten sich Single und Album freilich weltweit auf die Spitzenpositionen. Aber auch heute noch haben viele Fans eine ambivalente Beziehung zu „Double Fantasy“. Die Produktion geriet viel zu glatt und man fragte sich, wo denn der Biss von einst geblieben war. Statt dessen wurde dem geneigten Hörer – oberflächlich betrachtet (siehe „I’m Losing You“ / „I’m Moving On“) – ein Austausch von Nettigkeiten präsentiert. Keine gesellschaftspolitischen Statements, kein zünftiger Rock – nichts. Dazu kam, dass man nicht ein neues John Lennon-Album voliegen hatte, sondern jeweils ein halbes von John UND Yoko. Die Erfindung des CD-Players brachte es mit sich, dass heute viele Fans lediglich die Lennon-Titel das Albums zum Abspielen programmieren. Yokos Songs sollen damit keineswegs abgewertet werden, aber es ist nicht unbedingt das, was der Beatles- oder Lennon-Anhänger auf einer John Lennon-Platte hören möchte.

So fällt auch eine Bewertung des Albums schwer, da ungeachtet der weichgespülten Produktion der Lennon-Songs doch prinzipiell hochklassige Kompositionen dabei sind, die die Zeiten überleben werden und auf der anderen Seite die Yoko-Anteile das Hörvergnügen nicht gerade ins Unermessliche steigern.

Anspieltipps:

Watching The Wheels / Woman /  I’m Losing You / (Just Like) Starting Over

Bewertung:

Pressestimmen:

„Lennons Comeback-Album … ist vielen Zeitgenossen zu sanft und säuselig, obwohl ‚Woman‘ nichts von seinem Charme verloren hat.“    – Rolling Stone (Deutschland)
„… the notion worked best, when revealing the cracks of the marriage“     – Q Magazine
„It’s more songs about Yoko, John and Sean. It’s a godawful yawn.“    – New Musical Express