1970 – „John Lennon/Plastic Ono Band“

John Lennon / Plastic Ono Band

Veröffentlicht:  11. Dezember 1970
LP: Apple 1C 062 – 04 703 (Deutschland)
CD: EMI 7243 5 28740 2 6 (Digitally remixed and remastered)

 

Titel:
Mother / Hold On / I Found Out / Working Class Hero / Isolation / Remember / Love / Well Well Well / Look At Me / God / My Mummy’s Dead
Bonus Tracks auf der remasterten CD: Power To The People / Do The Oz

Mit diesem Album hatte das Genie John Lennon den Wahnsinn von „Two Virgins“, „Life With The Lions“, „Wedding Album“ und der B-Seite von „Live Peace In Toronto“ einschneidend hinter sich gelassen. „John Lennon / Plastic Ono Band“ markiert den eigentlichen Beginn der Solokarriere des Ex-Beatles und gilt für viele Fans und Kritiker als sein bestes Album. Wie viele Künstler (besonders auffällig auch bei Paul McCartney) entstanden auch bei John Lennon die überzeugensten Arbeiten unter dem Eindruck persönlichen Leids. Doch wie kam es zu diesem Meisterwerk?

Kurz vor Beginn des „Fluxfest 1970“, bei dem John und Yoko über neun Wochen eine Serie von Fluxus-Aktionen präsentierten, waren bereits Kontakte zum Psychologen Arthur Janov in Kalifornien geknüpft. Bei ihm wollten sich John Lennon und Yoko Ono einer „Urschreitherapie“ unterziehen. Insbesondere John hoffte, sich durch diese radikale Methode von seinen Neurosen befreien zu können. Janovs Buch „The Primal Scream“ beschreibt, dass Neurosen ihre Ursachen in schmerzhaften Kindheitserlebnissen haben. Lennon las Janovs Buch, erkannte darin sich selbst sowie die unterdrückten und damit nicht verarbeiteten Depressionen seiner Kindheit und Jugend. Für die Dauer der Therapie – fünf Monate, von April bis August 1970 – gab es nur selten öffentliche Auftritte der Lennons.

Die unerbittliche Konfrontation mit der unglücklich verlaufenen Beziehung zur Mutter und deren gewaltsamen Tod sowie mit dem Vater, der ihn in frühester Kindheit verließ und erst wieder auftauchte, als John Lennon ein Weltstar war, reinigte und befreite Johns Psyche. Aber auch die zerbrochene Ehe mit Cynthia und die Beatles-Vergangenheit wurden zu zentralen Themen der Therapie-Sitzungen. So war es für ihn nach monatelanger Abstinenz als Songschreiber nur selbstverständlich, die Erfahrungen aus der Primärtherapie in neuen Kompositionen zu verarbeiten.

Zwischen August und September nahm Lennon die neuen Songs auf. Die Plastic Ono Band war diesmal im Wesentlichen ein Trio und bestand aus John Lennon (Gitarre, Piano, Gesang), Klaus Voormann (Bass) und Ringo Starr (Schlagzeug). Nur auf zwei Songs („Love“ und God“) übernahmen Phil Spector (der das Album produzierte) bzw. Billy Preston das Piano.

Unheilvoll dröhnt die Totenglocke (die ähnlich 10 Jahre später in AC/DC’s „Hell’s Bells“ erklingt) am Beginn von „Mother“ und die Vorwürfe und das gleichzeitige Flehen an die Eltern sind deutlich:

„Mother, you had me
But I never had you“

„Father, you left me
But I never left you“
…“

„Mama don’t go
Daddy come home!“

Der Tod von Johns Mutter Julia blieb zeitlebens seine schmerzhafteste Erinnerung, die er sich – in eine Art Kinderlied verpackt – in „My Mummy’s Dead“ eingesteht. Dass dieses Thema Anfang und Schluss des Albums ausmacht, zeigt, welche Bedeutung der Verlust der Eltern für John Lennon hatte. „I Found Out“ ist gewissermaßen das unmittelbare Auskotzen der Janov-Theorien, die herausgeschrieene Erkenntnis, viele Dinge entlarvt zu haben, die ihm vermeintlich Wohlbefinden bescheren: Fans, Jesus, Gurus, Drogen und sogar sein ehemaliger musikalischer Partner Paul McCartney. Die ultimative Abrechnung – und auch da taucht im Grunde McCartney wieder auf –  erfolgt in dem vielleicht eindrucksvollsten Song des Albums „God“. In einer langen Liste schwört er spirituellen Führern und deren Allheilmitteln ab und wettert schließlich gegen Ikonen der Popmusik, was am Ende im Satz gipfelt:

„I don’t believe in Beatles
Just believe in me, and that’s reality“

Versucht man, Lennon hier zu interpretieren, so liegt es nahe, dass für ihn Gott lediglich einen Platzhalter darstellte für die Orientierung in moralischen und seelischen Fragen. Der Glaube ist es (auch der Glaube an sich selbst, s.o.), aus dem Kraft geschöpft werden kann.

„God is a concept
By which we measure our pain“

Doch die Bandbreite der Stimmungen auf „John Lennon / Plastic Ono Band“ ist weit gefächert. „Love“ ist bespielsweise eine Ballade von atemberaubender Schönheit und Einfachheit und auch bei „Look At Me“ herrscht aufgrund der instrumentalen Gestaltung (wieder im Stil von „Julia“, 1968) romantische Stimmung vor, obgleich der Text von Sinnfragen und Selbstzweifel geprägt ist. Besonders eindringlich ist „Isolation“. Hier hadert Lennon mit seiner Rolle als Sprecher seiner Generation. Er will mit Yoko zwar die Welt verändern, stößt jedoch häufig auf Unverständnis und Feindseligkeit wobei er einsieht, dass diese Reaktion nur menschlich ist:

„I don’t expect you to understand
After you caused so much pain,
But then again, you’re not to blame
You’re just a human, a victim of the insane.“

„Well, Well, Well“ wirkt dagegen wie eine Mischung aus schwerem Blues und Punk-Vorläufer. In „Remember“, basierend auf einer montonen Grundstruktur, die bereits bei den „Get Back“-Sessions der Beatles im Januar 1969 auftauchte, scheint Lennon an die Generation zu appellieren, die mit ihm älter geworden ist, nicht den Idolen der Vergangenheit nachzueifern, sondern im Hier und Jetzt zu leben. Wenn der geneigte Hörer dies verstanden hat, dann erklärt sich auch der Satz, der den ganz im Bob Dylan-Stil vorgetragenen „Working Class Hero“ (eine Anklage, wie schon als Kind die freie Persönlichkeitsentfaltung beschnitten wird) abschließt:

„If you want to be a hero /
Well, just follow me“

Bei diesem Album stimmt schlichtweg von vorne bis hinten alles. Es ist sicher nicht vermessen, über den Beatles-Tellerrand hinausschauend zu urteilen, dass es kaum ein Werk in der Pop- und Rockmusik gibt, dass derart persönlich und von solcher Intensität ist. Ein ganz großer Pluspunkt ist darüber hinaus auch die sparsame Begleitung durch Bass und Schlagzeug. Direkt und ohne Spielereien. Nebenbei bemerkt: Spaß konnte die Plastic Ono Band bei diesen Aufnahmen dennoch haben: Auf dem Schwarzmarkt kursiert beispielsweise eine Aufnahme mit einem umwerfend komischen Medley von „Honey Don’t / Don’t Be Cruel / Matchbox“. Man kann davon ausgehen, dass die gelöste Stimmung, die hier rüberkommt, dringend nötig war um mit dem schwermütigen Material des Albums umgehen zu können.

Die beiden Bonus-Tracks der CD stammen von Singles. „Power To The People“ ist einer der Songs, die Lennon-typisch im Eilverfahren geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht wurden. Dieser zweifellos mitreißende Song wurde am 22. Januar 1971 aufgenommen und gibt einen leichten Vorgeschmack auf den Polit-Rock auf „Some Time In New York City“ (1972). „Do The Oz“ war die B-Seite der Single „God Save Us“, allerdings sind beide Songs eher belanglos.

Anspieltipps:

Mother / Working Class Hero / Isolation / Love / God

Bewertung:

Pressestimmen:

“ ‚Reborn‘ after smack and The Beatles.“     – Q Magazine
“ Upon release it was hailed as the best solo Beatle release yet, and to this day stands as arguably John’s most consistant effort.“    – Eight Arms To Hold You (Madinger / Easter)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert