1979 – „Back To The Egg“

Back To The Egg

Veröffentlicht:  8. Juni 1979
LP: EMI 1C 064 – 62799 (Deutschland)
CD: EMI 0777 7 89136 2 7 (Digitally Remastered)

Titel:
Reception / Getting Closer / We’re Open Tonight / Spin It On / Again And Again And Again / Old Siam, Sir / Arrow Through Me / Rockestra Theme / To You / After The Ball – Million Miles / Winter Rose – Love Awake / The Broadcast / So Glad To See You Here / Baby’s Request
Bonus Tracks auf der remasterten CD: Daytime Nightime Suffering / Wonderful Christmastime / Rudolph The Red-Nosed Reggae

Mit „Back To The Egg“ legten die Wings 1979 ihr mittlerweile siebtes Studioalbum vor – es sollte auch ihr letztes werden. Abermals veränderte sich die Besetzung. Die letzten Arbeiten an „London Town“ (1978) wurden zwar vom Wings-Kern um Paul und Linda McCartney sowie Denny Laine bewältigt. Und doch sollte es für die abtrünnigen Jimmy McCulloch und Joe English Nachfolger geben. Über Kontakte von Denny Laine wurde zunächst der Schlagzeuger Steve Holly und später der neue Leadgitarrist Laurence Juber in die Band aufgenommen.

Die ersten Sessions und Aufnahmen der Wings begannen im Juni 1978 auf McCartneys schottischer Farm. Im behelfsmäßigen „Spirit of Ranachan“-Studio arbeitete die Gruppe etwa fünf Wochen und gab dem entstehenden Album den vorläufigen Namen „Wings In The Wild“. Ein späterer Arbeitstitel war „We’re Open Tonight“, bevor sich McCartney letzten Endes für „Back To The Egg“ entschied. Während des Sommers 1978 wurden die Aufnahmen unterbrochen und im September im Lympne Castle in Kent fortgesetzt. Die Feinarbeit erfolgte schließlich und endlich in der Abbey Road und im Replica Studio London, das nichts anderes ist als eine exakte Kopie von Abbey Road Studio Nummer zwei, das McCartney im Keller seines Büros am Soho Square installieren ließ. Am 1. April 1979 war das Stereo-Masterband bereit, für die Presswerke kopiert zu werden.

Das erste von zwei auf diesem Album enthaltenen Instrumental-Stücken macht den Anfang. „Reception“ (Arbeitstitel „Radio“) besteht aus einem live eingespielten, um eine groovende Bassfigur erdachten Backing Track der Band. Diese Rhythmusspur wurde verbunden mit einer Sendersuche durch verschiedene Radiofrequenzen (diverse Wort- und Musikbeiträge sind zu hören, u.a. auch ein Interviewausschnitt mit Paul McCartney selbst). McCartneys Grundidee bestand darin, sich vorzustellen, dass man auf der Suche nach einer bestimmten Frequenz ist, diese aber einfach nicht findet – was zu prädigitalen Zeiten keine Seltenheit war. Schließlich wird der Sender gefunden und mit dem ersten gewaltigen Gitarrenakkord von „Getting Closer“ erfolgt die reguläre Eröffnung von „Back To The Egg“. Nach dem vergleichweise ruhigen „London Town“-Album versprach McCartney für den Nachfolger eine deutlich härtere Gangart, was „Getting Closer“ eindrucksvoll unter Beweis stellt. Dieser bereits 1974 geschriebene Song war ursprünglich eine Komposition mit dem Klavier als Leitinstrument. Nun stellte sich der Song aber als schnörkelloser Rocker dar, dessen Text wie so oft bei McCartney viele Rätsel aufgibt. Einzige Erkenntnis ist die, dass der Protagonist von „Getting Closer“ seine Angebetete (liebevoll „mein Salamander“ genannt) verzweifelt anfleht, ihren jetzigen Partner zu verlassen. „Getting Closer“ endet mit einer sich wiederholenden recht eigenständigen, epischen Tonfolge, die hauptsächlich von Gitarre, Bass und Keyboards (auch Mellotron) getragen wird.

„We’re Open Tonight“ ist vom Charakter her ähnlich geeignet wie seinerzeit „Venus And Mars“, ein Album zu eröffnen und auch als Reprise wieder aufzutauchen, Doch der Gedanke wurde, wie schon erwähnt, bald verworfen. So bleibt „We’re Open Tonight“ eine nette Akustikballade innerhalb des „Back To The Egg“ Songreigens. Den Gesang – ebenso wie Jubers 12-saitige Gitarre – nahm McCartney in der Wendeltreppe von Lympne Castle auf um mehr Atmosphäre zu erreichen. Auf die trockene Ansage „This is it!“ unterstreicht „Spin It On“, dass Punk auch an Paul McCartney nicht spurlos vorbeiging. Dem Song mangelt es folglich an melodischer Finesse, denn darauf kam es beim Punkrock nicht an. Treibender Rhythmus, eine destruktive Grundhaltung und Drei-Akkord-Schrammelei standen im Vordergrund. Freilich war Paul McCartney in den ausgehenden 70er Jahren alles andere als ein authentischer Vetreter des Punk. Doch er wäre nicht er selbst, würde er keine aktuellen (und auch vergangenen) Strömungen in seine Musik aufnehmen. In McCartneys Oevre hat „Spin It On“ ob seiner Beliebigkeit und Einfachheit einen nur geringen Stellenwert, stellt jedoch ein nettes Puzzlestück zur Vielschichtigkeit von „Back To The Egg“ dar.

Denny Laines Komposition „Again And Again And Again“ geht auf zwei eigenständige Songs zurück. Auf McCartneys Rat hin wurden „Little Woman“ und „Again And Again And Again“ zusammengefügt. Aber auch dieser Kniff macht den beinhahe komplett live eingespielten Song nicht zu einem hochklassigen Stück wie „Time To Hide“ oder „Deliver Your Children“. Schon die ständige Wiederholung der Refrainzeile „Again And Again And Again“ zerrt bald an den Nerven des Hörers. Auch im nächsten Song „Old Siam, Sir“ wiederholt sich häufig eine Melodie, dieses Mal in Form einer ostasiatisch anmutenden Tonfolge, die auf eine Idee von Linda McCartney zuückgeht. Das könnte theoretisch schnell ermüden und eintönig wirken, doch ein nicht uninteressantes Arrangement mit effektvollen Rhythmuswechseln und eine exzellente Gesangsleistung des Ex-Beatles retten „Old Siam, Sir“ in den grünen Bereich. Der eigenartige Text handelt von einer Frau, die die Suche nach einem Mann von Siam aus wieder zurück nach Großbritannien führt:

„In a village in Old Siam, Sir
There’s a lady who’s lost her way
In an effort to find a man, Sir
She found herself in the old UK.

She waited round in Walthamstowe
She skated round in Scarborough
(…)“

Weitaus interessanter geht es mit „Arrow Through Me“ weiter, einer Aufnahme, die größtenteils im Alleingang von Paul McCartney und Steve Holly entstand. Der Song erweiterte durch jazzige Elemente McCartneys ohnehin schon große stilistische Bandbreite. Auch gesanglich zeigt McCartney seine Vielseitigkeit. Mal klingt er relaxed und verträumt, mal fordernd bis aggressiv. Stramme Bläsersätze drücken dem Song schließlich ihren ganz eigenen Stempel auf. Der 2013 verstorbene Woodstock-Veteran Richie Havens war sicher nicht der einzige, der von „Arrow Through Me“ stark beeindruckt war. Für sein 1987er Album „Simple Things“ nahm er eine hörenswerte Coverversion des Songs auf.

Mit einer beispiellosen Ansammlung von Rockstars ging es am 3. Oktober 1978 in die Abbey Road-Sessions von „Rockestra Theme“ und „So Glad To See You Here“. In der Tat gibt es in der Rockgeschichte keine hochkarätigere Besetzung britischen Rockadels für eine Studioaufnahme. McCartney hatte mit dem „Rockestra Theme“ einen Song geschrieben, der für eine riesige Rockband konzipiert war. So lud er eine ganze Reihe prominenter britischer Rockmusiker ein, an seinem Projekt mitzuwirken. Praktisch jeder Einladung folgte eine Zusage. Nur ein paar Musiker wie Eric Clapton, Jimmy Page und Jeff Beck erschienen nicht – mehr oder minder aus mysteriösen Gründen. Jimmy Pages Verstärker war beispielsweise schon aufgestellt, er selbst ließ sich jedoch nicht blicken. Das „Rockestra“ blieb nicht minder imposant: Zu den Wings gesellten sich David Gilmour (Pink Floyd), Pete Townshend (The Who), John Paul Jones und John Bonham (Led Zeppelin), Gary Brooker (Procol Harum), Ronnie Lane und Kenney Jones (Small Faces/Faces), Bruce Thomas (Elvis Costello & The Attractions), Hank Marvin (The Shadows), Tony Ashton (Ashton, Gardner & Dyke), Ray Cooper (Elton John Band) und die komplette Bläsergruppe der Wings. Who-Schlagzeuger Keith Moon sollte auch mit von der Partie sein, verstarb jedoch leider eine Woche vor den Aufnahmen. Die drückende Wucht von „Rockestra Theme“ und „So Glad To See You Here“ lässt Bauklötze staunen. Das Projekt war überaus gelungen, denn es gewinnt durch das gemeinsame Spiel des Ensembles, das sich durch die beiden einfachen Songs wühlt. Die Ensemble-Leistung war McCartneys Grundgedanke, er hatte niemals vor, den Solisten eine Plattform für epische (und womöglich langweilige) Ausflüge zu bieten. Während es sich beim „Rockestra Theme“ noch um ein Instrumental handelt, ist „So Glad To See You Here“ ein Rocksong eher herkömmlicher Prägung, der allerdings durch die Art der Perfomance merklich aufgewertet wird. Den Schluss von „So Glad To See You Here“ mixte McCartney später in ein Reprise von „We’re Open Tonight“, was den konzeptionellen Charakter des Albums unterstreicht. Doch zurück zur Chronologie des Ablaufs von „Back To The Egg“: An das „Rockestra Theme“ schließt sich mit „To You“ ein weiterer rockorientierter Song an. Dieser zählt eher zu den Schwachpunkten des Albums. Von einigen hörenswerten Gitarrensounds abgesehen lässt dieses Stück kaum aufhorchen.

„After The Ball“ ist eine getragene Ballade mit Gospeltouch, die zum Ende hin das Tempo ein wenig anzieht und mit einem packenden Solo von Laurence Juber endet. Doch hier ist nicht wirklich Schluss. Auf Paul McCartneys legendären „Piano Tape“ von 1974 findet sich auch der Song „Million Miles“. Offenbar war McCartney nicht zufrieden und kam nicht recht weiter, so dass er „Million Miles“ später an die Komposition „After The Ball“ anhängte. Eine richtige Entscheidung, denn auch „Million Miles“ umgibt eine spirituelle Aura, wie sie sonst Gospelsongs kennzeichnet. McCartney leitet mit fließenden Tönen, die er seinem Bass entlockt über in einen seiner am spartanischten instrumentierten Songs über: „Million Miles“. In diesem eindringlichen Stück ist lediglich McCartneys Gesang und die von ihm gespielte Konzertina (eine Ziehharmonika-Art) zu hören.

Auf „After The Ball/Million Miles“ folgt ein weiteres Medley. „Winter Rose“ ist eine atmosphärisch dichte Ballade mit einem ansprechenden, poetischen Text:

„All through the summer I have followed you around
Bringing a rose for the winter that’s coming
Now the snow is on the ground.

Winter rose. Winter rose.
Shine your light in the air.
Winter rose. Winter rose.
Shine your light everywhere.“

„Love Awake“ schließt sich an. Auf die ruhige und romantische Stimmung, die die letzten Songs verbreiteten, folgt natürlich kein Rocksong, sondern abermals eine Ballade. Leider driftet diese ein wenig ins Schlagerhafte ab und ist zu leicht vorhersehbar. Nennenswert ist allenfalls der beeindruckende Mittelteil – feinsinnig und pompös zugleich.

Wie „Reception“ baut auch „The Broadcast“ auf den Effekt und die Kraft des gesprochenen Wortes. „The Broadcast“ geht auf ein kompositorisches Fragment McCartneys aus dem Jahr 1977 zurück. Das ursprüngliche Gitarrenstück spielt McCartney hier nun auf dem Klavier. Den Besitzer von Lympne Castle bat er, dazu aus Werken zu rezitieren, die der Schlossbibliothek entnommen wurden. Ausgewählt wurden Ausschnitte von „The Sport Of Kings“ von Ian Hay und „The Little Man“ von John Galsworthy.

„Back To The Egg“ schließt mit einem anspruchsvollen und gelungenen Gute-Nacht-Lied – „Baby’s Request“. McCartney frönt hier erneut seiner Leidenschaft für Liedgut aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schnell kommen Assoziationen wie „Honey Pie“, „When  I’m Sixty-Four“ oder „You Gave Me The Answer“. Im Unterschied zu den Genannten wurde bei „Baby’s Request“ noch eine Prise Jazz hinzugefügt.

Drei Bonustracks erwarten de Hörer der remasterten CD von „Back To The Egg“. Den ersten davon, „Daytime Nightime Suffering“ nennt Paul McCartney als einen seiner Wings-Favoriten, nicht zuletzt deshalb, weil auch Linda McCartney dieses Stück immer sehr gerne mochte. Es müssen sehr persönliche Erinnerungen der McCartneys sein, denn außer raffinierten Vokalsätzen ragt „Daytime Nightime Suffering“ nicht unbedingt aus dem Songkatalog Paul McCartneys heraus – gewiss aber aus der Menge der B-Seiten: „Daytime Nightime Suffering“ war im März 1979 B-Seite der Wings-Single „Goodnight Tonight“ (siehe Rezension von „McCartney II“) und beinahe hätte ein anderer Song dort Platz gefunden, denn als die Wings „Back To The Egg“ abmischten, veranstaltete Paul McCartney einen kleinen Wettbewerb: Jedes Wingsmitglied sollte innerhalb eines Wochenendes einen Song schreiben; der beste würde dann aufgenommen werden. Niemand war untätig, doch konnte wohl keines der neuen Stücke sich mit McCartneys Beitrag messen, so dass die Wahl schließlich auf  „Daytime Nightime Suffering“ fiel.

Genaugenommen ist „Wonderful Christmastime“ kein Wings-Song, sondern McCartneys erste Solosingle seit „The Back Seat Of My Car“ aus dem Jahr 1971. Nicht für einen Moment erreicht Paul McCartney hier die Intensität von Lennons Weihnachtssong „Happy Xmas (War Is Over)“. „Wonderful Christmastime“ ist zwar ebenso eingängig, erweist sich aber vergleichsweise als Leichtgewicht und auch gefühlsneutraler. Dennoch war die Single recht erfolgreich und selbst heute noch gehört „Wonderful Christmastime“ zum Standardrepertoire vieler Radiostationen zur Weihnachtszeit. Auch auf Weihnachtssamplern und in -filmen findet sich dieses von Paul McCartney im Alleingang eingespielte Stück regelmäßig wieder. Trotz des erwähnten Solo-Charakters gehörte „Wonderful Christmastime“ zum Programm der Wings England-Tour 1979.

Ganz schwach und nichtssagend ist „Rudolph The Red Nosed-Reggae“, die B-Seite von „Wonderful Christmastime“. Dieses Instrumental nach dem bekannten, von Johnny Marks geschriebenen Weihnachtslied, wurde bereits 1975 aufgenommen mit Paul McCartney am Schlagzeug und Harpsichord und Bob Loveday an der Violine. Mit Reggae hat der wohl aus einer Laune heraus entstandene Song etwa so viel gemeinsam wie ein Vegetarier mit Schweinshaxe.

„Back To The Egg“ ist eine gute Platte. Die nur wenigen Hänger („Again And Again And Again“, „To You“, „Love Awake“) schmälern nicht den positiven Gesamteindruck. Mit Laurence Juber und Steve Holly hatte McCartney zudem gute Nachfolger für Jimmy McCulloch und Joe English gefunden und mit Chris Thomas einen Produzenten am Start mit beeindruckenden Referenzen: The Beatles, Pink Floyd, Sex Pistols – und wenig später The Pretenders. Auch stellte man mit erheblichen Aufwand einen sehenswerten Film her, der sieben Songs des Albums als Promovideos enthielt. Darüber hinaus gaben die Wings einige Monate nach Veröffentlichung 19 Konzerte in England, um für „Back To The Egg“ zu werben und um sich für eine Welttournee warmzuspielen (die nie stattfand*). Doch all dies konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ambitionierte „Back To The Egg“-Projekt hinter den Erwartungen zurückblieb: Platz 4 in England und Platz 8 in den USA für das Album. Als beste Single platzierte sich „Getting Closer“ auf Rang 20 in den USA. Schlimmer noch: Die Musikpresse zeigte sich wenig euphorisch und ließ kein gutes Haar an „Back To The Egg“. Besser lief es für die McCartney Solo-Nummer „Wonderful Christmastime“, die in England Rang 6 erreichte. Ein weiteres Trostpflaster: „Rockestra Theme“ wurde 1980 mit dem Grammy für die „Beste Darbietung eines Rockinstrumentals“ ausgezeichnet.

Lesetipp: Unter „Specials“ findet sich ein aufschlussreiches Interview, das ich 2002 mit Laurence Juber führte.

Anspieltipps:

Getting Closer / Arrow Through Me / Rockestra Theme / Winter Rose / Baby’s Request

Bewertung:

Pressestimmen:

„On the whole, an album surely destined to join the production line of rock, making no mark on the fabric of contemporary music“    – New Musical Express, 9. Juni 1979

2 Antworten zu 1979 – „Back To The Egg“

  1. Lionel Knüpling Blockwinkel 27 27251 Scholen sagt:

    Klingt wie ein live Album ,wie Let it be auf dem Dach

    • admin sagt:

      Hi Lionel,
      ganz so „live“ empfinde ich es persönlich nicht. An einigen Songs wurde schon ganz schön rumgeschraubt. Aber speziell „Getting Closer“, „Spin It On“, Old Siam Sir“ und die Rockestra-Stücke gehen so ein bisschen in die Richtung. Daher weiß ich schon, wie du es meinst.
      Danke für deinen Kommentar!
      Viele Grüße,
      Ansgar

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