1986 – „Press To Play“

Press To Play

Veröffentlicht:  25. August 1986
LP: EMI / Parlophone 1C 064 – 2405981 (Deutschland)
CD: EMI 0777 7 89269 2 4 (Digitally Remastered)

Titel:
Stranglehold / Good Times Coming – Feel The Sun / Talk More Talk / Footprints / Only Love Remains / Press / Pretty Little Head / Move Over Busker / Angry / However Absurd / Write Away / It’s Not True / Tough On A Tightrope
Bonus Tracks auf der remasterten CD:  Spies Like Us / Once Upon A Long Ago (Long Version)

Die vernichtenden Kritiken vor allem zur filmischen Umsetzung von „Give My Regards To Broad Street“ mussten erst einmal verkraftet werden. Aber Paul McCartney wäre nicht Paul McCartney, wenn er dies zeigen würde. Tiefschläge wie die des „Daily Star“ („Give my goodbyes to this awful movie“), des „Variety“-Magazins („Characterless, bloodless and pointless!“), der „Sun“ („With a gossamer thin story line, it is overblown video rubbish!“) oder sogar von der renommierten „Times“ („The worst film that ever cost $9 million and two years work…“) schienen an ihm abzuprallen. Das letzte Quartal des Jahres 1984 verbrachte Paul unermüdlich mit Promotioninterviews und -auftritten, die Film und Soundtrack im Gespräch halten sollten. Anfang 1985 erschien sogar noch das Computerspiel zum Film – heute ein gesuchtes Sammlerobjekt.

Doch dann hieß es „Neues Jahr, neues Glück!“ und das „Broad Street“-Fiasko war abgehakt. Nach wie vor war der Name McCartney eine große Nummer. Gegen Ende 1984 erreichte „We All Stand Together“ die britischen Top 5 und auch auf der Band Aid-Single „Do They Know It’s Christmas?“ war Paul McCartney vertreten, wenngleich es hier nicht zur aktiven Teilnahme, sondern nur für ein paar Grußworte via Telefon reichte, die auf der B-Seite der Single zu hören sind. Die ersten neuen McCartney-Songs, fünf Stück an der Zahl, entstanden während eines Jamaika-Urlaubs Anfang 1985. Schon im März des selben Jahres begannen die Aufnahmen zu „Press To Play“. Nachdem die Zusammenarbeit mit George Martin weder bei „Pipes Of Peace“ noch bei „Give My Regards To Broad Street“ den immensen Erfolg von „Tug Of War“ wiederholen konnte, verpflichtete Paul McCartney nun einen der seinerzeit angesagtesten Produzenten: Hugh Padgham, der zuletzt für Alben von The Police, Genesis oder auch XTC hinter den Reglern saß. Zusätzlicher Ansporn war für Paul McCartney sein Studio „The Mill“ (oder auch „Hog Hill“ genannt) auf seinem Anwesen in East Sussex, das gerade auf den aktuellsten Stand der Technik gebracht und auch den allerhöchsten Ansprüchen gerecht wurde. Um es gleich vorweg zu nehmen: Von den neuen technischen Möglichkeiten und Spielereien hat McCartney auf „Press To Play“ genüsslich Gebrauch gemacht.

Vergleichsweise traditionell ist allerdings der Eröffnungstrack des Albums. „Stranglehold“ ist ein forscher und organischer Rocker, der mit wenigen Akustikgitarren-Akkorden und (im Vergleich zu den butterweichen Drumsounds der letzten Produktionen) erfreulich knochentrockenen Schlägen auf der Snare des Schlagzeugs beginnt. Nach der ersten Strophe legt der Song ein wenig an Tempo zu, bevor er im Refrain endlich Betriebstemperatur erreicht. Unterstützt wird der treibende Rhythmus durch satte Bläsersätze. „Stranglehold“ ist die erste von sechs Kompositionen auf dem Album, die McCartney gemeinsam mit Eric Stewart, dem ehemaligen Gitarristen, Sänger und Songschreiber der britischen Formation 10 CC – geschrieben hat. Zumindest quantitativ  eine fruchtbare Zusammenarbeit.

Das folgende „Good Times Coming – Feel The Sun“ ist nach einer Methode entstanden, der sich McCartney schon des Öfteren bedient hat: Zwei Songfragmente werden zu einem Ganzen verbunden. In diesem Fall ist es sehr überzeugend gelungen. Zunächst vernimmt der Hörer Meeresrauschen und die offenbar ausgelassene Gesellschaft einer Strandparty, die unisono einen „Good Times Coming“-Singalong anstimmt. Unmittelbar darauf beginnt der eigentliche Song – optimistisch, beschwingt und mit einem Touch von Reggae, ein Musikstil, den der Ex-Beatle immer mal gerne wieder aufgreift. Das bemerkenswerte Solo vor der dritten Strophe wird von David Bowies ehemaligen Gitarristen Carlos Alomar gespielt. Der zweite Abschnitt des Songs – „Feel The Sun“ – besteht aus einer schönen Melodie, die innerhalb des Gesamtgebildes als Mittelteil gelten kann und einem unwiderstehlichen, immer wiederkehrenden „Feel The Sun“-Refrain, bis der Song schließlich ausklingt. Ursprünglich war „Feel The Sun“ dreieinhalb Minuten lang, wurde für die Songkombination jedoch auf 1:25 Minuten gekürzt.

Während „Good Times Coming – Feel The Sun“ die neuen technischen Möglichkeiten des „The Mill“-Studios schon andeutet, langt Paul McCartney bei „Talk More Talk“ ordentlich zu. In dieser High-Tech-Produktion werden ungewohnte, beinahe experimentelle Wege beschritten. So beginnt der Titel mit klanglich modifizierten, teilweise von Linda und Sohn James McCartney aufgenommenen Gesprächsfetzen, die wild miteinander kombiniert werden und auch im Mittelteil und am Schluss eingesetzt werden. Die rätselhaften Botschaften:

„A master can highlight the phrases.
Sleazy instruments, half talked, half baked ideas.
Dad, you didn’t say O.K.
The window was open, outside was a spaceship,
(A master can highlight the phrases) it took off into the sky
Leaving a trail of smoke behind it.“

Und später:

„All you want is a handyman and all you want is quick service.
Because I’m a house-owner. I am a house owner.
It may be worth something someday.
I hear water going through the pipes.
I don’t actually like sitting down music.
Music is ideas.“

Am Schluss:

„A master can tell, highlight the phrases his words to digress.
Grey flannel trousers… Grey flannel trousers.
A blazer and grey flannel trousers.“

„Talk More Talk“ war eine schnelle Produktion. Innerhalb eines Tages war der Song geschrieben und der Basic Track aufgenommen. Nach eigener Aussage bediente sich McCartney beim Text mit Äußerungen, die einem Interview mit Tom Waits entlieh. Was auch immer Paul McCartney damit meinte: „Talk More Talk“ ist ein spannendes Stück Musik, das im ersten Moment sperrig und schwer zugänglich wirkt, aber mit der Zeit an Faszination gewinnt.

Zart und harmonisch geht es weiter. „Footprints“ ist eine weitere Gemeinschaftskomposition von McCartney und Stewart. Man könnte meinen, dieser Song stünde in einer Reihe mit klassischen McCartney-Gitarrenballaden wie „And I Love Her“, „Blackbird“ oder „Bluebird“. „Footprints“ ist jedoch eine Verschmelzung akustischer und elektronischer Klänge, die dem Song eine mystische und geheimnisvolle Aura verleihen. Die Inspiration für die Text geht darauf zurück, dass Paul McCartney eines Tages eine Elster beobachtete, die im Schnee auf Futtersuche war. McCartney und Stewart entwickelten daraus die Geschichte einer einsamen und verlassenen Person („Eleanor Rigby“ nicht unähnlich), die durch die Schneelandschaft stapft, sich bewusst zurückzieht, aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, dass seine Liebste wieder zu ihm zurückkehrt.

Wenn sich ein Song von „Press To Play“ für den Titel der typischen McCartney-Ballade bewerben würde, so wäre dies zweifellos „Only Love Remains“. Die von McCartneys Klavierspiel getragene Ballade ist ein Musterbeispiel für diese Gattung. Zu Recht wird McCartney dafür gerühmt – allerdings häufig auch darauf reduziert und als Kitschproduzent gebrandmarkt. „Only Love Remains“ trägt allerdings nicht zu dick auf. Ein von Tony Visconti geschriebenes und live mit der Band eingespieltes orchestrales Arrangement veredelt die gefühlvollen Melodien den Songs. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Meisterschaft Paul McCartney die schlichte Liebeslied-Thematik ein ums andere Mal mit zeitlosen Melodien verbinden kann. Bis heute ist „Only Love Remains“ übrigens der einzige Song von „Press To Play“, der zwar nicht auf Konzerten, aber doch zwei Mal bei Fernsehauftritten live gespielt wurde. Zunächst am 24. November 1986 bei der „Royal Variety Show“, und zwar von einer Band begleitet und ohne Orchester. Darüber hinaus gab es eine Performance in der englischen TV-Show „The Tube“ am 11. Dezember 1986; hier wurde McCartney am Flügel lediglich von einem Saxophonisten und zwei Backgroundsängerinnen begleitet, von denen eine Linda McCartney war. Diese intime Version schlägt die Album-Version um Längen.

Die erste vom Album ausgekoppelte (Vorab-)Single war am 14. Juli 1986 „Press“. Nicht nur für Fans war dieser aufgrund des massiven Einsatzes synthetischer Klänge untypische McCartney-Song nicht das, was sie erwarteten. Dies schlug sich auch in bescheidenen Charts-Notierungen nieder. „Press“ unterstreicht die Suche McCartneys nach neuen Sounds, was man durchaus positiv als Risikobereitschaft werten kann. Die Verwendung vielfältiger technischer Effekte bringt es aber auch mit sich, dass „Press“ – wie auch andere Teile des Albums – unter einer gewissen Sterilität und Kälte leiden. Dieser Umstand zieht sich allerdings auch wie ein roter Faden durch die Popmusik der 80er Jahre. Wie schon bei „Talk More Talk“ gibt auch der Text von „Press“ Rätsel auf. Schon früher hat McCartney beim Dichten eines Songtextes gerne mal auf Doppeldeutigkeiten sexueller Natur gesetzt (vgl. „Hi, Hi, Hi“, 1972) und betrachtet man „Press“ genauer, so geht lässt sich dieser Text auch in jener Richtung interpretieren. Es ginge demnach dann um ein Paar, bei dem sich der männliche Part anbietet, gewissermaßen auf Knopfdruck für den Liebesakt bereit zu sein. Da sich die Turteltauben jedoch in Gesellschaft anderer Menschen befinden, müsse ein geheimes Zeichen gefunden werden, damit sie sich in Abgeschiedenheit der körperlichen Liebe hingeben können. Das „Oklahoma“ in der Textzeile „Oklahoma was never like this“ könnte symbolisch für einen einsamen Ort stehen, an den man sich zurückziehen kann. McCartney selbst kommentierte die Frage nach „Oklahoma“ seinerzeit damit, das diese Wortwahl aus seinem Unterbewusstsein kam und sich schlicht besser anhörte als „Liverpool was never like this“. Rein musikalisch hat „Press“ – auch wenn es nach einigen Hördurchgängen recht eingängig ist – außer einem netten Gitarrensolo relativ wenig zu bieten. Sehenswert ist die TV-Dokumentation „McCartney“, die 1986 in Zusammenarbeit von BBC und MPL entstand – und später auf dem Videomarkt als „Paul McCartney Story“ erschien. Dort spielt und singt McCartney u.a. in ausgelassener Stimmung in den Abbey Road Studios live zu einem Halbplayback „Press“. Interessant für Sammler ist die Tatsache, dass es bei der Single-Veröffentlichung eine nicht unerhebliche Panne gab:  McCartneys Unentschlossenheit ist es zuzuschreiben, dass die erste Singleversion wieder aus dem Verkehr gezogen wurde. Wer also „Press“ als Single ohne den Aufdruck „Video Edit“ besitzt, hat schon eine kleine Rarität in der Sammlung. Diese seltenere Fassung ist ein ungefähr 20 Sekunden längerer Mix des Songs. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Album selbst. Auf den ersten 45.000 Pressungen der englischen Schallplatte ist eine längere Fassung dieses Stücks enthalten als auf allen anderen Nachpressungen. Die Maxi-Single von „Press wartet neben einem Dub-Mix des Titelsongs und „It’s Not True“ mit einer weiteren Zugabe auf. „Hanglide“ ist ein knapp über fünf Minuten langes Instrumentalstück, das als eine Referenz an Musik vom Schlage eines Jean-Michel Jarre verstanden werden kann. Tatsächlich ist es aber wohl nur eine weitere Spielerei mit dem Equipment des neuen Studios und damit ein Non-Album-Track mit wenig Substanz.

Die Auswahl geeigneter Singles gestaltete sich schwierig – insbesondere nachdem „Press“ nicht richtig zündete. „Pretty Little Head“ konnte sich schließlich gegen „Talk More Talk“ durchsetzen und wurde am 27. Oktober 1986 veröffentlicht. „Pretty Little Head“ war der erste im frisch eingerichteten Heimstudio aufgenommene Song, mit dem McCartney vor allem die neuen technischen Möglichkeiten und die Fähigkeiten der ihn begleitenden Musiker ausloten wollte. Wie auch bei „Press“ oder vor allem bei „Talk More Talk“ handelt es sich bei „Pretty Little Head“ um stilistisches Neuland im McCartney-Oevre. Auch wenn es in diesen ungewohnten Nummern viel zu entdecken gibt, wollte in der Öffentlichkeit keine rechte Begeisterung aufkommen, zumal man „Pretty Little Head“ vorwerfen kann, das es nicht das aufweist, was McCartney-Kompositionen immer auszeichnete: eine bestechende und eingängige Melodie. Der Song war während seiner Entstehung lange Zeit ein Instrumental (was bei dem eher überschaubaren musikalischen Wert nicht weiter verwunderlich ist) und erst spät fügte McCartney einen Text hinzu (vorgetragen mit einem Gesang, der wie aus weiter Ferne klingt), der erneut einer Erklärung bedarf:

„Ursa major, Ursa Minor …
Hillmen, Hillmen, Hillmen, Hillmen.
Oh, oh. Oh, oh.

Hillmen bring garments, spices.
Carrying trinkets, silk and precious stones. Oh, oh.
Exotic legends,
Only so you don’t worry
Your pretty little head.“

Was will uns der Künstler damit sagen? Paul McCartney dazu: „Ich habe mir ein Naturvolk vorgestellt, einen Stamm, der in den Bergen lebt. Alle Jubeljahre kommen sie aus ihren Höhlen und bringen Opfer dar wie Seide und kostbare Steine – nur damit ihre herrschende Prinzessin nicht ihren hübschen kleinen Kopf sorgen muss.“ Ohne Zweifel eine der exzentrischten und außergewöhnlichsten Kompositionen McCartneys, der auch hier von Eric Stewart unterstützt wurde. Von „Pretty Little Head“ wurden verschiedene Versionen produziert. Neben der Albumversion gab es eine radiofreundliche Fassung für die Single und ein um ungefähr zwei Minuten gestreckter Mix für die Maxi-Single.

„Move Over Busker“ ist wiederum eine Rückkehr zu vertrauten rockigen Sounds, auch wenn hier zeitweise erneut die Breitwandproduktion zuschlägt. Am Anfang steht eine dominante Leadgitarre, die bereits die Marschrichtung Rock’n’Roll vorgibt. Und so entfaltet sich bald ein Mid-Tempo-Rocker, der stark an die erfreulichen Songs „Not Such A Bad Boy“ und „No Values“ vom schwächelnden „Broad Street“-Abum erinnert. Während die Musik schnörkellos daherkommt, hinterlässt der Text ein weiteres Mal offene Fragen:

„Well the rest of my life lay in front of me,
I was pedalling down the road,
When I saw Nell Gwynne and her oranges
And I said I’ll have one of those.“

Oder auch …

„Well I was hanging around for a miracle,
Struggling with a rhyme,
When I saw Mae West in a sweaty vest,
And I said I’ll come up and see you sometime.“

Des Weiteren …

„Well, I was hacking my way throught the undergrowth,
Juggling with my pride,
When I saw Errol Flynn in a tiger skin,
And I said you look satisfied!“

Es tauchen also eine Schauspielerin (und Mätresse des englischen Königs Charles II.) aus dem 17. Jahrhundert auf und mit den Schauspielern Mae West und Errol Flynn zwei Mimen, die ihre erfolgreichste Zeit in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts feierten. Mae West, ein frühes Sexsymbol der Filmindustrie, war bei den Beatles schon in jungen Jahren ein Thema und „Mae West im verschwitzen Unterhemd“ ein Insider-Witz der Band. Das mag unter Umständen noch eine Erklärung bieten, doch allgemein wird der Hörer mit den Text wenig anfangen können.

Eine gute Portion Tempo wird bei „Angry“ noch zugelegt. Der Song basiert auf einem Riff, das McCartney eigentlich für einen anderes Stück verwenden wollte. Jedes Mal, wenn Paul McCartney dieses Riff spielte, fühlte er sich an den energiegeladenen Gitarrenstil von The Who-Chefdenker Pete Townshend erinnert. Kurzerhand lud er den Who-Gitarristen und auch den Genesis-Schlagzeuger Phil Collins zur gemeinsamen Aufnahme ein. So brüllt sich ein wütend klingender Paul McCartney mit pulsierendem Bass durch einen treibenden Rocker, begleitet von stakkatohaften Akkorden, die ideal zu Townshend passen. Auch bei „Angry“ gibt es einen alternativen Mix – erschienen auf der B-Seite der Maxi-Single von „Pretty Little Head“. Bei dieser Version geben knackige Bläsersätze dem Song noch zusätzliche Dynamik. Insgesamt wirkt der Song allerdings ein wenig zu „erwachsen“ und zu ausgefeilt. Dem mittlerweile 44-jährigen Multimillionär war schon damals verständlicherweise der „Angry young man“ nicht mehr abzunehmen.

Zumindest textlich leicht lennonesk und mit einem Arrangement, das an die Beatles-Spätphase erinnert, kommt das hymnische „However Absurd“ daher. Hier wird ein weiteres Mal mit Sprache gespielt und offenbar psychedelische Erfahrungen geschildert, wenn von hundeähnlichem Ohrzucken, in Schüsseln aufgeschlagenen Eiern, Tagträumen oder Spezialanfertigungen von Dinosauriern die Rede ist. Wie „Press To Play“ mehrfach zeigt, müssen McCartneys Texte – „however absurd“ sie auch sein mögen – jedoch nicht notwendigerweise Sinn ergeben. Die Dramatik des Songs wird im beinahe seichten Mittelteil („Something special between us …“) etwas herausgenommen. Doch mit zunehmender Dauer des Songs verstärkt sich die hymnische Wirkung, was durch opulente Orchestrierung und sich steigernde perkussive Elemente geschieht. Das gewaltige Klangbündel löst sich zum Schluss dann jedoch in geschickter Manier auf.

Der Tonarm bewegt sich bei der Vinylausgabe von „Press To Play“ nach „However Absurd“ wieder an seine ruhende Ausgangsposition zurück. Die remasterte CD hat jedoch nicht weniger als fünf Bonustracks zu bieten. Den Anfang macht das mit drei Minuten Spielzeit sehr kurze „Write Away“. Die McCartney-Stewart-Komposition beginnt mit einem synthetisch erzeugten Rhythmus, der an ein Uhrwerk erinnert. Dazu gesellt sich ein E-Piano und eine „clean“ gespielte E-Gitarre, was dem Ganzen zusammen mit dem (ebenfalls synthetischen) Basslauf und dem fröhlichen Klaviersolo eine funky Atmosphäre verleiht. „Write Away“ wirkt ein wenig wie eine Vorlage zu Gino Vanellis „Wild Horses“, das 1987 weltweit eine recht erfolgreiche Single war.

Mit „It’s Not True“ scheint sich Paul McCartney musikalisch gegen seine Kritiker zur Wehr zu setzen. Genau genommen greift er diejenigen an, die selbst Mitte der 80er Jahre seine Partnerschaft mit Linda verbal angriffen. Zwar wird Lindas Name nicht explizit genannt, doch es ist schnell klar, wer gemeint ist. Bezogen auf Linda McCartneys bescheidene handwerkliche Fähigkeiten als Musikerin kommt dieses Statement über zehn Jahre zu spät. Anfang der 70er Jahre mag die Kritik berechtigt gewesen sein, doch durch eisernen Willen (sowohl auf Pauls als auch Lindas Seite) hat Linda McCartney als gewachsene Keyboarderin bei der mittlerweile legendären Wings-Tournee von 1975/76 keinen Anlass zur Mäkelei gegeben. Die spöttische Haltung gegenüber Linda hielt sich jedoch sehr lange. Noch Anfang der 90er Jahre kursierte auf dem Schwarzmarkt eine Aufnahme einer isolierten Spur von Lindas Harmoniegesang während einer „Hey Jude“-Konzertperformance, um ihre Defizite als Sängerin offenzulegen. Insofern mag es Paul McCartney lange gewurmt und letztlich zu diesem Song geführt haben. Der sich in „It’s Not True“ manifestierende Protest präsentiert sich in balladesker Form und mit einer schönen Melodie. Die gegen Ende ständig wiederholt ausgerufenen Klage „It’s not true!“ lässt den Song dann doch eine Spur zu lang geraten. „It’s Not True“ erschien in alternativer Fassung als B-Seite der Single „Press“. Im Gegensatz zur CD-Version enthält die Single-Version kein Saxophon-, sondern ein Gitarrensolo von Carlos Alomar.

Viele Fans halten „Tough On A Tightrope“ für einen „hidden gem“, für ein wenig beachtetes Juwel. Wenn man auch nicht unbedingt ganz so hoch greifen muss, so hat „Tough On A Tightrope“  (als B-Seite der raren Single „Only Love Remains“ erschienen) in jedem Fall Album-Qualitäten. Ein spannendes Streicherarrangement mit prägnanten Celli zählt zu den Pluspunkten dieser McCartney-Stewart-Ballade. In digitaler Form hatte „Tough On A Tightrope“ (wie auch „Write Away“ und „It’s Not True“) seine Premiere auf der CD-Erstveröffentlichung von „Press To Play“.

Die remasterte CD von „Press To Play“ enthält außerdem die am 18. November 1985 erschienene Single „Spies Like Us“. Sie war der Titelsong der Agentenkomödie „Spies Like Us“ (dt. Titel „Spione wie wir“) des „Blues Brothers“- und „American Werewolf“-Regisseurs John Landis. Der deutsche Pressetext beschreibt „Spies Like Us“ als Song mit „lebhaften Gitarrensoli“, mit dem „Geräusch pfeifender Pistolenkugeln“ und „Thriller-Ambiente“. Tatsächlich sind auf der Single-Version von „Spies Like Us“ keine Pistolenkugeln zu hören. Auch vermag sich „Thriller-Ambiente“ nur ansatzweise einzustellen. Richtig liegt der Pressetext mit der Hervorhebung der Gitarrensounds, die den Song dominieren, der insgesamt allerdings wenig spektakulär oder gar vergleichbar mit dem Bond-Motiv „Live And Let Die“ ist. Witzig ist dagegen das Promotion-Video für „Spies Like Us“. Der Film zeigt, wie Paul McCartney mit Mantel, Hut und falschem Schnäuzer vor dem Abbey Road-Studio ankommt, wo er schließlich mit den beiden Hauptdarstellern des Films – Dan Aykroyd und Chevy Chase – zum Song herumblödelt.

Die hier rezensierte CD schließt mit „Once Upon A Long Ago“, einer klassischen „Weihnachts-Single“ – veröffentlicht am 30. November 1987 (Besprechung siehe „All The Best!“).

Mit „Press To Play“ hat Paul McCartney in seiner Neuorientierung viel gewagt – und wenig gewonnen. Alle Singles blieben, gemessen an den erfolgreichen Singles der Vergangenheit, hinter den Erwartungen zurück. „Press“ blieb in Deutschland auf Platz 53 hängen. Die beste Notierung war ein Platz 21 in den USA, während das nur dort veröffentlichte „Stranglehold“ einen traurigen Rang 81 erreichte. „Only Love Remains“ wurde in Deutschland nicht veröffentlicht und erreichte in England Platz 34. Für „Pretty Little Head“ – auch wenn es mit einem fabelhaften Promotionvideo flankiert wurde – sind bis heute noch nicht einmal Chart-Platzierungen bekannt. Die besten Platzierungen erreichte noch das Album „Press To Play“.  So langte es in England immerhin für einen respektablen achten Platz. Doch schon „Spies Like Us“ (höchste Position: Rang 7 in den USA) läutete Ende 1985 die Phase ein, in der ein kommerzieller Erfolg für Paul McCartney keine Selbstverständlichkeit mehr war. Auch hatte McCartneys Image zu dieser Zeit wieder einen Tiefpunkt erreicht. Doch einen Paul McCartney ficht das rein äußerlich kaum an. Egal, ob er erfolgreich ist oder nicht – er macht unbekümmert weiter. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass das Album überraschenderweise von den Kritikern seinerzeit durchaus geschätzt und wohlwollend besprochen wurde.

Das Cover-Artwork ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Das Titelmotiv zeigt Paul und Linda McCartney in einer in Sepia-Tönen gehaltenen Porträt-Aufnahme des 1992 verstorbenen  Fotografen George Hurrell, der durch seine Schauspieler-Porträts aus der Glamour-Zeit Hollywoods in den 30er- und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts Berühmtheit erlangte. In diesem Stil ist auch das Coverfoto gehalten, das so natürlich dem Ruf McCartneys als aalglatter Softie Tür und Tor öffnet. Das Innencover der aufklappbaren LP – und weniger deutlich im CD-Booklet zu erkennen – zeigt von Paul McCartney visualisierte Stereo-Abbilder der jeweiligen Songs. Im Aufnahmeprozess hat er diese angefertigt um zu illustrieren, wo sich welches Instrument oder Stimme im Stereo-Mix befindet.

Wenn gesagt wird, dass es Paul McCartney wenig ausmacht, dass „Press To Play“ das erfolgloseste Studioalbum seiner Solokarriere ist, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Wird er auf „Press To Play“ angesprochen, schämt er sich fast dafür und wertet diese Produktion als Fehlgriff ab. Darüber hinaus hat er seit seiner Rückkehr als Live-Performer im Jahr 1989 niemals auf „Press To Play“ zurückgegriffen (wobei er generell bestimmte Alben – namentlich „London Town“ oder auch „Back To The Egg“ – live völlig ignoriert). „Press To Play“ polarisiert. Entweder wird es für ein starkes Werk oder für das schwächste Solo-Album gehalten. Dennoch kann „PressTo Play“ als massiv unterbewertet gesehen werden. Sicherlich stellt diese Aufnahme kein über alles erhabenes Meisterwerk dar, doch es lohnt sich, diese ungewöhnliche Veröffentlichung (wieder-) zu entdecken. Da es eine Vielzahl von unterschiedlichen Mixes gibt, ist es für den geneigten Hörer sicherlich interessant, auf Plattenbörsen oder Conventions nach den diversen Single- und Maxi-Single-Veröffentlichungen Ausschau zu halten. Nicht selten sind die Alternativfassungen besser als ihr Gegenstück auf dem Album – hervorgehoben sei an dieser Stelle der überaus gelungene Mix von „Pretty Little Head“.

Zum Schluss sei noch ein Studio-Outtake genannt, der es weder auf das Album noch auf eine Single-B-Seite schaffte: „Yvonne’s The One“ ist abermals eine Co-Komposition von Paul McCartney und Eric Stewart. Der Song wurde 1985 zunächst mit dem Arbeitstitel „So Long Yvonne“ aufgenommen und erschien offiziell 1995 auf dem 10 CC-Album „Mirror Mirror“ – mit McCartney als Gastgitarrist. Auf dem hochinteressanten Bootleg „Played To Press“ (Demoversionen der „Press To Play“-Titel) ist der gefällige Titel in seiner ursprünglichen Fassung als „Yvonne“ enthalten.

Anspieltipps:

Good Times Coming – Feel The Sun / Footprints /  Pretty Little Head / Only Love Remains / However Absurd

Bewertung:

Pressestimmen:

„Padgham, who has handled the board for the Police and Phil Collins, supplies Press to Play with an electronically dense contemporary sound that fleshes out McCartney’s melodies and gives the LP rhythmic kick. Stewart pushes McCartney in some new directions, particularly on the dreamily abstract „Pretty Little Head“ and the LP’s grand Beatlesque finale, „However Absurd.“ – Rolling Stone, 23. Oktober 1986

1 Antwort zu 1986 – „Press To Play“

  1. Alexander sagt:

    Hallo Ansgar,

    du schreibst bei „It´s Not True“ von einer alternativen Fassung mit Gitarrensolo von Carlos Alomar. Ich habe zwar viele B-Seiten und Mixe von PTP, diese Version konnte ich aber bisher leider nicht finden. Kannst du mir einen Tipp geben wo diese Version zu finden ist?

    Danke & Viele Grüße
    Alexander

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